Der Begriff „grüner Kapitalismus“ erinnert an Volksmärchen und Sprichwörter. In einem alten deutschen Sprichwort heißt es zum Beispiel „Den Bock zum Gärtner zu machen!“, um die Unmöglichkeit einer Sache zu erklären. In einem Garten, in dem ein Ziegenbock Gärtner ist, kann keine Rose überleben und ein Garten ohne Blumen ist kein Garten. Übertragen bedeutet das: Der Kapitalismus kann nicht grün sein, und wenn er dennoch grün erscheint, geschieht dies nur auf Kosten dessen, was seine Natur eigentlich ausmacht. Die Unmöglichkeit eines grünen Kapitalismus müsste also eigentlich deutlich sein, da es sich dabei um einen immanenten Widerspruch handelt.
Jedoch wird der „grüne Kapitalismus“ heutzutage bereits als eine ganz normale Gegebenheit betrachtet. Er scheint sich wie eine Legende zu verbreiten, deren Realität umso weniger hinterfragt wird, je häufiger sie wiederholt wird. Heute scheint diese Legende größtenteils akzeptiert worden zu sein, und es sieht so aus, als wären auf dem Weg dorthin nur noch technische oder zeitliche Probleme zu klären!
Legenden werden nur als solche betrachtet, wenn bekannt ist, dass sie Legenden sind. Dennoch ergibt sich in solchen Situationen ein interessanter Wunsch in unserem Verstand: Wir suchen nach einer verborgenen Wahrheit in einer Geschichte, von der wir wissen, dass sie nicht wahr ist, und versuchen, die Wahrheit in der Geschichte mittels der Wirklichkeit der Geschichte selbst zu erfassen. In diesem Artikel werden wir uns mit einer ähnlichen Orientierung bemühen, die Wahrheit in der Legende des „grünen Kapitalismus“ zu finden.
Historische Entscheidungen und was sie überschatten
In gewisser Hinsicht beruht der „grüne Kapitalismus“ auf der Anerkennung der Realität der ökologischen Krisen, die noch bis vor kurzem in der bürgerlichenPolitik entweder geleugnet oder unter den Teppich gekehrt wurde. Obwohl bürgerliche Denkfabriken seit den 1970er Jahren warnende Berichte über Umweltzerstörung verfasst haben, wurden diese Warnungen in der Alltagspolitik von bürgerlichen Regierungen wenig beachtet. Heutzutage kann sich keine bürgerliche Regierung, insbesondere in fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern, den Luxus noch leisten, die Umweltkrise zu ignorieren. Bei der Anerkennung der Umweltkrise spielten zweifellos – abgesehen von wirtschaftlichen Gründen – zwei Faktoren eine wichtige Rolle: Erstens nahmen die Anzeichen von Umweltkatastrophen und der Klimakrise sowie ihre zerstörerischen Auswirkungen zu, und zweitens entwickelte sich das Umweltbewusstsein und die Bewegung der Menschen, die auf diese Realität reagierten.
Heutzutage werden in nahezu allen fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern zahlreiche „ökologische“ Finanzpakete, gesetzliche Maßnahmen und politische Entscheidungen im Namen des „Naturschutzes“ und der „Lösung der Klimakrise“ verkündet. Bei den Gipfeltreffen in Tokio, Paris und Glasgow wurden „historische Entscheidungen“ unterzeichnet. Zum Beispiel erfordert das Pariser Klimaabkommen, dass die globalen CO2-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent reduziert und bis 2050 auf null reduziert werden müssen, um den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Auf dem jüngsten Gipfeltreffen in Glasgow unterzeichneten etwa 200 Länder einen Aufruf, die Verwendung von Kohle zu beenden und Investitionen in andere fossile Brennstoffe einzustellen. Industrieländer sollen dieses Ziel bis 2030 erreichen, Entwicklungsländer oder Länder, die kurz vor der Entwicklung stehen, bis 2040. Unabhängig davon, wie realistisch solche zeitlichen Vorgaben sind, wird von vielen Experten betont, dass diese Beschlüsse selbst bei ihrer Umsetzung nicht die erforderliche Geschwindigkeit aufweisen, um das Ziel einer Begrenzung des Anstiegs der globalen Durchschnittstemperatur auf 1,5 Grad Celsius zu erreichen. Doch solche Kritiken hindern nicht daran, dass der „grüne Kapitalismus“ weiterhin in rosigen Bildern wie „grüne Städte“, „Kreislaufwirtschaft“, „grüne industrielle Revolution“ usw. dargestellt wird!
Die Unbestreitbarkeit der Umweltkrise und diese „historischen Entscheidungen“ haben unausweichlich die Frage aufgeworfen: Kann der Kapitalismus dieser Umweltkrise, die die Lebensbedingungen auf der Erde bedroht, ein Ende setzen? Diese Frage, die des Begriffs der Kausalität entbehrt , führt eigentlich zur Frage, ob eine Produktionsweise, die selbst zur Umweltkatastrophe geführt hat, einen entgegengesetzten Kurs einschlagen kann, der ihrer eigenen Natur widerspricht. In diesem Sinne ist sie gleichbedeutend mit der Frage, ob der Kapitalismus aufhören kann, Kapitalismus zu sein.
Natürlich bedeutet die Anerkennung der Realität nicht, dass die Bourgeoisie auch die Verantwortung für die Umweltkrise übernimmt! Daher braucht es ideologisch-politische Tricksereien, um zu verhindern, dass der Kapitalismus selbst direkt auf die Anklagebank gesetzt wird, da der Zusammenhang zwischen der gegenwärtigen ökologischen Krise und der vorherrschenden Produktionsweise nicht geleugnet werden kann. Die angewandte Trickserei, die zwar wohlbekannt, aber dennoch nicht unwirksam ist, bestand darin, die gesellschaftlichen Beziehungen zu naturalisieren. Mit anderen Worten: Das bestehende gesellschaftliche Verhältnis nicht als Verhältnis einer spezifischen Gesellschaft in einer spezifischen Phase der Geschichte darzustellen, sondern als das selbstverständlichste und natürliche Verhältnis der Menschheit und somit die kapitalistische Produktionsweise nicht als eine bestimmte historische Produktionsweise, sondern als die natürliche Produktionsweise der Menschheit zu erklären.
Mit dieser Herangehensweise wird das Phänomen der Umweltkrise in einer Form dargestellt, die mit ihrerglobalen Charakteristik vereinbar ist. Wenn die Umweltkatastrophe ein globales Problem ist – es also die gesamte Menschheit betrifft – dann sind auch alle Menschen, die gesamte Gesellschaft und alle Länder dafür verantwortlich! Durch die Naturalisierung kapitalistischer Verhältnisse wird auf diese Weise der unbestreitbare und kausale Zusammenhang zwischen der kapitalistischen Produktionsweise und der Umweltkatastrophe zu einem scheinbar natürlichen Ausdruck der „menschlichen Natur“ im Umgang mit der Umwelt umgewandelt . Ein Problem wie die Umweltkatastrophe, die die gesamte Menschheit und das gesamte Leben betrifft, wird so zu einem unvermeidbaren Ergebnis und Problem unserer „menschlichen Natur“, also unserer Produktion und unseres Konsums! Die Schlussfolgerung ist: „Wir Menschen sind für die ökologische Krise durch unsere Produktion und unseren Konsum verantwortlich!“ Damit wird die Systemfrage isoliert und auf die Frage des Lebensstils, des Konsums oder von technologischen Problemen reduziert. Unter dem Einfluss dieser Sichtweise lautet die „fortschrittlichste“ Aussage darüber natürlich: „Diese oder jene Branche, dieses oder jenes Unternehmen oder diese oder jene Partei/Politiker sind für die ökologische Krise verantwortlich!“
Daher ist die erste notwendige Erkenntnis, um sich heute auf einen festen Boden für den Kampf gegen die Umweltkrise stellen zu können, dass die kapitalistische Produktionsweise nicht die naturgemäße und alternativlose Produktionsweise der Menschheit ist.
Andererseits: Wir wissen, dass jede Gesellschaftsform „ein historisch geschaffenes Verhältnis zur Natur und der Individuen zueinander“ hat.[1] Wir können mehrere Merkmale benennen, die die kapitalistische Produktionsweise von früheren Gesellschaftsformen unterscheiden, aber aus unserer Perspektive ist zweifellos hervorzuheben: Dass er in der Produktion von absolutem sowie relativem Mehrwert auf wissenschaftliche und systematische Weise in großem Maßstab tätig ist. Die für den Kapitalismus spezifische Produktion von relativem Mehrwert basiert in erster Linie auf der Steigerung der Produktivität der Arbeit innerhalb eines bestimmten Zeitraums. Die Produktivität der Arbeit auf diese Weise steigern zu wollen, ist natürlich von vielen Faktoren und Notwendigkeiten abhängig, aber ihr Ergebnis ist klar: Der Kapitalismus erlangt die Fähigkeit, eine, im Vergleich zu früheren Produktionsweisen, weitaus umfassendere, schnellere und größer angelegte Produktion zu organisieren. Die enorme Steigerung der Produktivität und somit der Produktionskapazität durch die Unterordnung von Wissenschaft und Technologie unter das Kapital bedeutet, dass alle Materialien und Ressourcen, die die Natur bietet, genutzt werden, um einen Mehrwert von einem Ausmaß zu erzielen, das in keiner vor-kapitalistischen Gesellschaftsform gesehen wurde.
Dies führt dazu, dass die rücksichtslose Zerstörung der Natur und des ökologischen Gleichgewichts für den Kapitalismus eine natürliche Notwendigkeit ohne jegliche Einschränkungen darstellt. Darüber hinaus wird aufgrund des Wettbewerbs zwischen den Kapitalisten es umso mehr als Erfolg angesehen, je schneller und umfangreicher die unentgeltliche Plünderung der Natur erfolgt. Kurz gesagt, die rücksichtslose Ausraubung und Zerstörung der Natur ist wesentlich für die kapitalistische Produktionsweise, die ausschließlich darauf abzielt, Mehrwert zu erzeugen. Diese Eigenschaft ist für sie unverzichtbar.
Mit anderen Worten: Es besteht eine bestimmte Widersprüchlichkeit in der Beziehung des Menschen zur Natur, da der Mensch als natürliches Wesen die Ressourcen der Natur nutzen muss, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, was einen Eingriff in die Natur bedeutet. Die kapitalistische Produktionsweise entbehrt des Verständnisses für den Schutz des Naturgleichgewichts, der im Interesse der Zukunft der menschlichen Spezies und des gesellschaftlichen Lebens ist. Die Interessen des Einzelnen stehen über dem Gemeinwohl. In all dem besteht also ein Widerspruch, der in den Besonderheiten der Beziehung zwischen der menschlichen Spezies und der Natur liegt und der nun so weit verschärft wurde, dass er zu einer ökologischen Krise geführt hat.[2]
Nach Marx liegt die „Grundlage des Widerspruchs“ in der „inneren Notwendigkeit der Wechselbeziehung“ zwischen voneinander abhängigen Dingen und der gleichzeitigen „gleichgültigen, unabhängigen Existenz“ jedes Elements dieser Abhängigkeit.[3] Das Ausmaß der ökologischen Krise weist auf eine neue Situation in Bezug auf die Beziehung des Kapitalismus zur Natur hin. Tatsächlich löst sich die Form, die bisher die widersprüchlichen und sich gegenseitig ausschließenden Aspekte dieser Beziehung zusammengehalten hat, auf, während die „gleichgültige unabhängige Existenz“ der beiden Elemente der Beziehung fortbesteht.
Der Kapitalismus bedroht nicht die „Natur“, denn die „Natur“ existierte und wird auch ohne ihn weiterhin existieren. Was der Kapitalismus heute bedroht, sind die natürlichen Bedingungen für das Leben aller Lebewesen auf der Erde. Das, was jetzt neu aufkommt, ist nicht der Widerspruch zwischen den Existenzbedingungen der kapitalistischen Produktionsweise und den natürlichen Bedingungen des Lebens an sich, denn dieser Widerspruch existierte bereits seit dem Aufkommen des Kapitalismus. Das Neue besteht darin, dass eine entscheidende Eigenschaft der bisherigen Form dieser Beziehung, nämlich die Fähigkeit, die Widersprüche der Beziehung zusammenzuhalten, allmählich abnimmt.
Umweltkrise bedeutet, dass auf der Ebene der Verschärfung des Widerspruchs zwischen dem grenzenlosen Trieb zur Kapitalakkumulation und den natürlichen Lebensbedingungen ein Punkt erreicht ist, an dem beide nicht mehr wie bisher in einer Form agieren können, die ihre sich gegenseitig ausschließenden Aspekte zusammenhalten kann. Und wenn dieser Trend nicht gestoppt wird, wird wiederum ein Punkt erreicht, an dem unumkehrbare Schäden in den natürlichen Lebensbedingungen auftreten. Wie Marx in „Das Kapital“ feststellte: „Après moi le déluge! [Nach mir die Sintflut!] ist der Wahlruf jedes Kapitalisten und jeder Kapitalistennation.“.[4] Marx verwendete diesen Ausdruck, um die Gleichgültigkeit des Kapitals gegenüber der Gesundheit und Lebensdauer der Arbeiter hervorzuheben – heutzutage können wir diesen Ausdruck im gleichen Sinne auf die natürlichen Lebensbedingungen anwenden.
Als Marx die Gleichgültigkeit des Kapitals beschrieb, stellte er eine Bedingung auf: „wo es nicht durch die Gesellschaft zur Rücksicht gezwungen wird“. In Bezug auf die Umweltkrise sehen wir, dass sowohl eine Reaktion der Natur als auch eine Reaktion vonseiten der Gesellschaft vorhanden sind. „Grüner Kapitalismus“ ist daher nichts anderes als eine demagogische Bezeichnung, die darauf abzielt, die genannten Zwänge zugunsten des Kapitals umzukehren und den Drang zur Maximierung der Mehrwertproduktion sowohl zu verschleiern als auch nachhaltig zu gestalten.
Die Natur und der Markt
Wie bereits erwähnt, erfolgt der Umgang des Kapitals mit der Natur auf Grundlage von Kriterien, die in der Natur selbst nicht vorhanden sind, nämlich auf der Grundlage von Wert- und Mehrwertproduktion. Während sich die Steigerung der Arbeitsproduktivität und die räuberische Ausplünderung der Natur gegenseitig bedingen, wird die Natur wie alles andere dem Wertgesetz und der kapitalistischen Warenproduktion unterworfen. Ist der Charakter des Verhältnisses zwischen Kapitalismus und Natur erst einmal auf diese Weise festgestellt, ist es nicht verwunderlich, dass der Markt und seine Gesetze heute die Hauptkriterien für alle Maßnahmen sind, die im Namen der Bekämpfung der ökologischen Krise ergriffen werden. Die Heuchelei des Kapitalismus in diesem Punkt übertrifft sogar die verlogenstenCharaktere in Shakespeares Stücken!
Nicht nur Metalle, Wasser, Mineralien, Böden usw. sind zu Waren geworden, sondern die Natur selbst wurde mit den neuen Möglichkeiten der Wissenschaft und Technologie zu einem riesigen Warenmeer. Heute wird die Bio- und Gentechnologie auf die landwirtschaftliche Warenproduktion angepasst, bestimmte Samen und die in ortsspezifischen Pflanzen enthaltene genetische Information werden patentiert und Sonnenstrahlen und Wind werden in Energie umgewandelt und verkauft. Dass ein und dasselbe kapitalistische Monopol sowohl Minen als auch Minensuchgeräte und Prothesen herstellt, war uns nicht fremd. Aber nun sehen wir im Zuge des Kampfes gegen die Klimakrise wie die Hauptursache für genau diese, nämlich die Kohlendioxidemissionen, selbst zu einer Ware geworden sind!
So ist das Emissionshandelssystem (EHS)[5] ein markantes Beispiel dafür, wie und mit welcher Logik der Kapitalismus den Klimawandel bekämpft. Bekanntlich wurde im Rahmen des Kyoto-Protokolls eine Regelung zur Menge der weltweiten CO2-Emissionen im Zusammenhang mit dem „Klimaziel“ eingeführt. Der Emissionshandel erfolgt nach dem „Cap-and-Trade-Prinzip“. Es wurde eine Obergrenze für die weltweiten CO2-Emissionen festgelegt, und diese Menge wurde in Form von Kohlenstoffemissionsrechten(Zertifikaten) zwischen den Staaten aufgeteilt. Jeder Staat, der das Kyoto-Protokoll unterzeichnet hat (mittlerweile 191 Staaten), erhält Emissionsrechte in der festgelegten Menge. Das Kohlenstoffemissionsrecht ist im Wesentlichen das Recht, die Atmosphäre zu verschmutzen. Einige Staaten haben ungenutzte Emissionsrechte, weil sie ihre eigene Emissionsmenge reduzieren, d. h. sie sammeln ungenutzte Emissionszertifikate an. Diese werden auf dem internationalen Markt zum Verkauf angeboten und von Staaten erworben, die mehr CO2 emittiert haben, als ihnen zusteht. Um die CO2-Emissionen langfristig zu reduzieren, muss die Emissionsmenge pro Jahr verringert werden. Hierbei ist die korrekte Bestimmung der Emissionsmenge einer der entscheidenden Punkte. Ein weiterer ist die Festlegung eines Mindestpreises pro emittierter Tonne CO2, ist es doch kein Geheimnis, dass der aktuelle Preis pro Tonne ziemlich niedrig ist.[6]
Wie die Staaten können natürlich auch Unternehmen CO2-Emissionsrechte (Emissionszertifikate) kaufen und verkaufen. Zum Beispiel hat die EU im Jahr 2005 den Europäischen Emissionshandel (EU-ETS)[7] eingeführt. Auf diesem Markt handeln die Unternehmen der EU-Mitgliedstaaten untereinander mit Emissionszertifikaten. Die Emissionsmenge auf dem Markt wird von der EU festgelegt. Stellen wir uns zwei Unternehmen aus verschiedenen Sektoren vor: Das Unternehmen, das für weniger Verschmutzung verantwortlich ist und daher ungenutzte Emissionszertifikate angesammelt hat, kann diese an ein Unternehmen verkaufen, das mehr CO2-Emissionen als vorgesehen erzeugt hat. Das Unternehmen wird diese kaufen, um Strafen für hohe Emissionen zu umgehen. Wie auf dem Markt funktioniert dieses System nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage. Dabei wird behauptet, dass der Markt sowohl dazu beiträgt, die allgemeine CO2-Emissionsgrenze einzuhalten als auch Unternehmen dazu ermutigt, Technologien zur Reduzierung ihrer Emissionen einzusetzen.
Doch faktisch ist die Menge an in die Atmosphäre freigesetztem Kohlenstoff den Gesetzen des Marktes überlassen. Der Markt funktioniert jedoch nach dem Wert- und nicht nach demNaturgesetz! Zum Beispiel wurde während der Krise von 2008 die Obergrenze für Emissionen nicht erreicht, was bedeutet, dass weniger Kohlenstoff in die Atmosphäre freigesetzt wurde. In Bezug auf den Emissionshandel und die Marktentwicklung kann diese Tatsache jedoch nicht als positiv angesehen werden, da sie das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage gestört hat. Infolgedessen kam es zu einem erheblichen Überschuss an Emissionszertifikaten. Die Zertifikatspreise verloren ihre Funktion, die Reduzierung von Kohlenstoffemissionen zu fördern. Folglich verlor die Investition in „klimafreundliche Technologien“ ihre Dringlichkeit und Bedeutung. Die EU griff in den Zertifikatsüberschuss auf verschiedene Weisen ein: z. B. durch die Ankündigung des „European Green Deals“ und die schnellere Reduzierung der verfügbaren Zertifikate [8], sowie durch die Erklärung einer entschlosseneren „Klimapolitik“ [9]. Als Ergebnis dieser Interventionen und insbesondere von spekulativen Aktivitäten auf dem Markt stieg der Preis für Emissionszertifikate (pro Tonne Kohlenstoffemissionen) zwischen 2018 und 2021 von 8 auf 60 Euro. Diese Preissteigerung führte in jüngster Vergangenheit jedoch, in Verbindung mit anderen Faktoren,zu einem Anstieg der Strompreise insbesondere in der Eurozone [10].
Eine weitere Dimension des Problems besteht darin, dass Unternehmen in den Mitgliedstaaten der EU, sei es auf inoffiziellem oder indirektem Weg, auch Emissionszertifikate von internationalen Emissionshandelsmärkten außerhalb der EU erwerben können – natürlich zu viel günstigeren Preisen! Was forderten europäische Unternehmen unmittelbar nach dem Klimagipfel in Glasgow? Die Internationalisierung des Emissionshandels! Laut einem Bericht im Handelsblatt gab es dafür eine berechtigte Begründung: „Die Zertifikate anderer Länder sind für europäische Unternehmen viel vorteilhafter“! [11] Für europäische Unternehmen war dies eine der wichtigen Entscheidungen beim Gipfeltreffen in Glasgow, da beschlossen wurde, ungenutzte Zertifikate, die im Rahmen von „Klimaschutzprojekten“ vor dem Pariser Abkommen ausgestellt wurden, in das System aufzunehmen. Umweltorganisationen kritisieren diese Entscheidung, da die genaue Anzahl der Zertifikate, die auf diese Weise in das System aufgenommen wurden, „nicht bekannt ist“.
Kurz gesagt, das Emissionshandelssystem funktioniert nicht oder besser gesagt, es funktioniert nicht in dem Sinne, dass die erforderlichen Schritte zur Bewältigung der Klimakrise schnell unternommen werden, sondern nur in dem Maße, wie es die Marktgesetze vorschreiben und ermöglichen. Doch bei einer Katastrophe wie der Klimakrise sollte das Schicksal der Intervention nicht den Gesetzen des kapitalistischen Marktes überlassen werden, wenn wirklich ein Handlungswille da ist!
Übrigens sollte angemerkt werden, dass die Umweltkrise ein Problem ist, das auch den Charakter der Beziehung zwischen imperialistischen Ländern und Entwicklungsländern offenbart. Die mit dieser Beziehung verbundene imperialistische Plünderung erreichte mit dem „Globalisierungsfieber“ ihren Höhepunkt und trieb die Zerstörung der Entwicklungsländer nicht nur wirtschaftlich, sondern auch ökologisch auf die Spitze. Bekanntlich sind es die imperialistischen Länder, die bei den weltweiten CO2-Emissionen an der Spitze stehen, während vom Imperialismus abhängige Länder die schwerwiegenden Auswirkungen dieser Emissionen auf das Klima und die Umwelt tragen müssen. Stoffe, die der Umwelt und der Natur schaden, allen voran Plastik, sind heute ein fester Bestandteil des Exports von imperialistischen Ländern in die abhängigen Länder. Angesichts solcher Realitäten gabenfortgeschrittene kapitalistische Länder im Jahr 2009 den Entwicklungsländern finanzielle Zusagen, insbesondere zum Schutz des Klimas. Ab dem Jahr 2020 versprachen sie jährliche Zahlungen in Höhe von 100 Milliarden US-Dollar. Angesichts der immensen Schäden, die diese Länder erlebenund Billionen von Dollar erreichen, erweisen sich diese geringen Zugeständnisse als unzureichend. Obwohl diejenigen Länder, die am stärksten von der Klimakrise betroffen sind, dies bei dem Gipfel in Glasgow eindringlich betonten, wurde aufgrund des Widerspruchs insbesondere der USA keine verbindliche Entscheidung getroffen. Stattdessen wurden sie mit leeren Worten getröstet: Spätestens im Jahr 2023 wird das Ziel erreicht werden, und sich ab 2025 sogar verdoppeln!
Bevor wir den Punkt über die Logik des kapitalistischen Marktes abschließen, möchte ich noch ein weiteres Beispiel anführen. Es handelt sich um folgenden Artikel mit dem Titel „Preisdruck auf Rohstoffe im Rahmen der grünen Wende“, der während dieser Text verfasst wurde, erschien, und keiner weiteren Erklärung bedarf:
„Am Horizont sind hohe Preisanstiege bei wichtigen Rohstoffen wie Kobalt, Kupfer, Lithium und Nickel zu erkennen. Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung wird die Nachfrage nach diesen Rohstoffen in den kommenden Jahren stark zunehmen. Es wird erwartet, dass die Preise bis zum Jahr 2030 einen Höhepunkt erreichen und für viele Jahre auf diesem Niveau bleiben werden.
Natürlich kann dies zu einer Hürde für den Übergang zu grüner Energie werden, denn diese Rohstoffe sind unverzichtbar für die Produktion von Elektroautos, Solaranlagen und Windturbinen. Für den Bau von Wind- und Solarenergieanlagen wird eine große Menge an Kupfer benötigt, Kobalt, Lithium und Nickel sindfür die Batterien von Elektroautos erforderlich. Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) wird erwartet, dass der Kupferverbrauch in den nächsten 20 Jahren um das Zweifache, der Nickelverbrauch um das Dreifache und der Kobaltverbrauch um das Sechsfache steigen wird.
Der größte Nachfrageanstieg wird jedoch beim Lithium erwartet. Es wird prognostiziert, dass die Nachfrage nach Lithium im Jahr 2040 im Vergleich zu heute um das 20-fache steigen wird. Es scheint jedoch schwierig, die Nachfrage in diesem Maße zu stillen, denn für den Abbau dieser Metalle sind erhebliche Investitionen erforderlich. Gemäß einem Szenario des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung könnten die Kupferpreise im Jahr 2030 im Vergleich zu 2020 um 70 Prozent und die Lithiumpreise um 180 Prozent höher sein.“[12]
Als gewöhnliche Menschen können wir angesichts solcher Nachrichten pessimistisch werden und denken, dass der „Umstieg auf grüne Energie“ an Fahrt verliert, dass mehr Kohlenstoff in die Atmosphäre gelangt und Klimakatastrophen zunehmen werden. Aber aus kapitalistischer und spekulativer Sicht erwecken diese Nachrichten eher andere Reaktionen: „Fantastisch! Es steht eine Super-Rendite bevor! Das Angebot wird der Nachfrage lange Zeit nicht gerecht werden können, die Rohstoffpreise werden jahrelang stark steigen!“. Einer Schätzung von Bloomberg New Energy Finance zufolge erfordert die „globale Energieumstellung“ Investitionen im Wert von 173 Billionen (!) Dollar in die Energieversorgung und -infrastruktur in den nächsten 30 Jahren. [13] Wir denken, dass diese Daten Einblick in die einige der Gründe für die neue „grüne Leidenschaft“ des Finanzkapitals geben.
Wir sagen „einige“, weil es auch Aspekte gibt, die mit der Rolle des Staates als Gesamtkapitalist, den Kämpfen zwischen Kapitalfraktionen und den Bemühungen um „grüne“ Hegemonie im internationalen Wettbewerb zusammenhängen. Darüber hinaus wird es gesellschaftlich-soziale Auswirkungen des „grünen Kapitalismus“ geben. Auswirkungen auf Klassenkämpfe, neue soziale Herausforderungen und neue Spaltungen zwischen sozialen Klassen und Ländern – beispielsweise zwischen denjenigen, die „ökologisch“ leben können und denjenigen, die es nicht können. [14]
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Der „grüne Kapitalismus“ ist die Propaganda davon, dass die Umweltkrise durch die bestehende kapitalistische Produktionsweise überwunden werden kann. Demnach muss der Kampf gegen diese Krise unter Beachtung der Gesetze der kapitalistischen Wirtschaft und des Marktes geführt werden. Wenn der Kapitalismus, und das bestreitet niemand, trotz „grünem Kapitalismus“ immer noch Kapitalismus bleibt, dann will die Frage beantwortet werden: Ist die Bewältigung der Umweltkrise mit den Gesetzen der kapitalistischen Wirtschaft und des Marktes vereinbar? Die oben genannten Beispiele deuten darauf hin, dass sie es nicht sind. Und das ist keine Überraschung. Sich darüber zu wundern, würde bedeuten, sich über das Streben des Kapitalisten nach Gewinn zu wundern! Denn der Kapitalist ist allein darauf aus, Gewinn zu erzielen – dies ist das einzige Ziel seines Unternehmertums. Er handelt nicht willkürlich, denn die kapitalistische Wirtschaft und der Markt haben ihre eigenen Gesetze.
Der Hauptgrund für das bisherige Desinteresse sowie die jetzt gesteigerte Aufmerksamkeit des Kapitals für die „grüne Wende“ liegt in den Profitraten, nicht in der Erderwärmung. Der Beweis dafür ist einfach: Beispielsweise ist die heute in den erneuerbaren Energien eingesetzte Technik nicht neu. Sie existiert seit Jahrzehnten. Doch bis vor kurzem waren die Produktionskosten, die Arbeitsproduktivität, das Marktvolumen und die Verhinderung bzw. Verzögerung der Entwertung des in fossile Energieträger investierten Kapitals Faktoren, die den Bereich der erneuerbaren Energien unprofitabel gemacht haben. Und das, obwohl die Umweltkrise den schnellen Einsatz dieser Technologien bereits seit langer Zeit erfordert. Heutzutage hat sich die Situation jedoch geändert. Zum Beispiel umfasst allein der Wasserstoffmarkt derzeit 150 Milliarden Dollar. Bis 2050 wird erwartet, dass er mindestens 600 Milliarden Dollar erreichen wird. Es lohnt sich also, dort in Konkurrenz zu treten! Der kapitalistische Staat muss natürlich die anfallenden Kosten und Wettbewerbsprobleme seiner Kapitalistenklasse mit den „ökologischen Fonds“ decken. Erversucht also, durch politisches sowie finanzielles Eingreifen, durch sein Engagement für „unsere Welt“ das Notwendige dafür zu tun, dass die eigene Kapitalistenklasse sich in dieser Konkurrenz durchsetzen kann.
Das Kapital reduziert alles, sei es lebendige Arbeit oder die Natur, auf sein engstirniges Ziel – die Schöpfung von Mehrwert. Es tut dies mit einer inneren Unersättlichkeit und äußerlichen Rücksichtslosigkeit. Es verwandelt sogar die gesellschaftlichen, sozialen und ökologischen Konsequenzen seines Handelns in eine Gelegenheit, die kapitalistischen Beziehungen zu verbreitern und neue Raubzüge zu unternehmen.[15] Zusammengefasst: Wird ihm kein Einhalt geboten, greift es nach allem, was nicht niet- und nagelfest ist!
Die Marxisten haben das Kapital niemals aufgrund seines Profitstrebens kritisiert. Im Gegenteil, sie haben aufgezeigt, dass es den Menschen, seine Gesundheit und die Natur gar nicht berücksichtigen kann noch wird, da dies Streben sein ganzes Wesen ist. Ein Schmankerl ist dabei, dass diejenigen, die die Überwindung der kapitalistische Ordnung als „Träumerei“ betrachten, nun mit dem „grünen Kapitalismus“ erwarten, dass Kapital sich nicht wie Kapital verhält!
Man könnte die Frage stellen: Ist es nicht besser als nichts, wenn das Kapital sich jetzt den „erneuerbaren Energien“, der „Klimawende“ und der „sauberen Industrie“ zuwendet? Ist nicht jedeVerringerung der Naturzerstörung ein Gewinn?
Zweifellos! Doch das Ausmaß der Zerstörung des ökologischen Gleichgewichtshat die Kompromisse á la „besser als nichts“ längst bedeutungslos gemacht. Das Ausmaß der ökologischen Krise und ihre fortschreitende Dynamik deuten darauf hin, dass alle möglichen „Gewinne“ in Wirklichkeit keine sein werden. Jeder verlorene Tag, die weitere Verfolgung der egoistischen und begrenzten Impulse des Kapitals bei der Bewältigung dieser historischen Aufgabe, führt uns näher an den Punkt, an dem der verheerende „unheilbare Riss“ (Marx) [16]des Kapitalismus in der Natur unumkehrbar wird.
Woran uns die Vögel erinnern
Machen wir mit einem Zitat aus einem interessanten Artikel mit dem Titel „Der Kapitalismus und die Vogelwelt“ weiter. Leider ist der Autor des Artikels anonym:
„Wir brachten unter diesem Titel in Nr. 1 dieses Jahrgangs der „Neuen Zeit“ eine Notiz, die mit einigen statistischen Angaben darthat, dass die Zahl und Mannigfaltigkeit der Vögel in industriellen Gegenden in Abnahme begriffen ist. Verschlechterung der Luft und des Wassers, vielfach auch Verkümmerung der Nahrung, Störungen während der Brütezeit und Erschwerung der Nistgelegenheiten dürften die Hauptursachen dieser Abnahme sein.
Sie ist jedoch nicht auf die industriellen Gegenden beschränkt. Wo die Landwirtschaft kapitalistisch betrieben wird, bemerken wir die gleiche Erscheinung. Die kapitalistische Landwirtschaft bringt die Waldverwüstung mit sich, möglichste Ausbeutung des Bodens, also z. B. Beseitigung der viel Platz einnehmenden Hecken durch Drahtzäune usw., auf jeden Fall Verminderung der Nistplätze und Verkürzung des Futters. Während so die Vermehrung der Vögel gehemmt wird, wachsen die Verfolgungen, denen sie von Seiten des Menschen ausgesetzt sind.
Im Gegensatz zum Kommunismus wohnt in der Warenproduktion das Bestreben zur Raubwirtschaft, zur möglichst augenblicklichen Ausbeutung der Natur ohne Rücksicht auf die Nachhaltigkeit und Dauer der Erträge. […]
Das Streben der Warenproduktion nach Raubwirtschaft konnte sich nur in engen Grenzen geltend machen, solange diese nicht den Charakter der kapitalistischen Produktionsweise annahm, der Großproduktion mit Hilfe riesenhafter Maschinen, mit wissenschaftlicher Unterjochung der Naturkräfte, die jetzt dazu dienen, die schüchternen Ansätze der einfachen Warenproduktion zur Raubwirtschaft riesenhaft zu entwickeln, die Springquellen des Reichtums in kurzen Zügen rasch zu erschöpfen, auf die Gefahr hin, sie für immer versiegen zu machen. Der Warenproduktion war z. B. immer das Streben zur Waldverwüstung eigen. Wo sie im Altertum die höchste Stufe erreichte, hat sie auch in verhältnismäßig kleinen Bezirken zur völligen Entwaldung geführt, so in vielen Punkten Griechenlands, Italiens und Südfrankreichs. Aber was ist diese Waldverwüstung im Vergleich zu derjenigen, welche heute die Entwicklung des Eisenbahnwesens und der Dampfschifffahrt mit sich bringt, welche nicht nur die Wälder in den Ländern mit entwickelter kapitalistischer Produktionsweise, sondern weit über deren Bereich hinaus vernichtet, in Schweden, Russland, den Wildnissen der Vereinigten Staaten, Kanada, Birma etc. […]
Zahlreiche Vogelfreunde glauben, durch einen Appell an die Frauen gegen das Tragen von Vogelbälgen auf den Hüten und dergleichen eine Besserung herbeiführen zu können. Wir schließen uns dem Appell an und wünschen ihm besten Erfolg; wir bezweifeln jedoch lebhaft, dass ein solcher Aufruf viel nützen wird. Die Mode wird sich ändern – auch ohne Appell – der Wechsel ist ja das Wesen der Mode. Aber bereits sind zahlreiche Kapitalien im Handel mit Vogelbälgen und in deren Bearbeitung angelegt.“
Obwohl der Autor des Artikels anonym ist, ist der Veröffentlichungsort bekannt: „Die Neue Zeit“, das theoretische Publikationsorgan der deutschen Sozialdemokratie. Noch interessanter ist das Datum: 1886! [17]
Der Zusammenhang zwischen Marxismus und Ökologie[18], den wir mit diesem Beispiel betonen möchten, kann kurz wie folgt zusammengefasst werden: Die Ökologie ist keine fremde Angelegenheit für die Weltanschauung der Arbeiterklasse. Im Gegenteil, Ökologie ist im historischen Materialismus eingebettet, der ein Verständnis darstellt, das den Menschen als Teil der Natur betrachtet, der mit ihr in Einklang steht, ihre Balance und Gesetze erkennt und sie zum Wohl menschlichen Lebens berücksichtigt und bewertet. Gleichzeitig basiert dieses Verständnis auf einer objektiven Realität der Natur, die unabhängig vom Menschen existiert. Nach dieser Auffassung kann die Beziehung zwischen Gesellschaft und Natur nur richtig verstanden werden, wenn sie aus einer historischen Perspektive betrachtet wird, da die heutige Natur eine vom Menschen veränderte Natur ist.
Nach dieser Betonung können wir uns den Aspekten des Themas von heutiger Bedeutung zuwenden. Wie aus den bisherigen Ausführungen ersichtlich, geht dem Aufkommen des „grünen Kapitalismus“ zusammen mit der „Umweltkrise“ auch eine Debatte über die kapitalistische Produktionsweise selbst einher. Diese basiert auf einem Kriterium, das das Kapital nicht direkt kontrollieren kann: Dem Vorhandensein oder Fehlen einer Natur, die die natürlichen Lebensbedingungen für die Menschheit und alle Lebewesen ermöglicht. Diese Debatte findet heute auf zwei Arten statt. Wie oben erwähnt, ist die vorherrschende Sichtweise folgende: Wenn es um die Natur geht, handelt es sich um ein universelles und klassenübergreifendes Problem, das die gesamte Menschheit gleichermaßen betrifft und in Verantwortung bringt. Die unterlegene Sichtweise kann wie folgt zusammengefasst werden: Dieses Problem ist eines von universellem Ausmaß, das den gesamten Planeten und die Menschheit umfasst, aber auf einer Ursache beruht, die in einer bestimmten Produktionsweise (dem Kapitalismus) liegt, die unter der Vorherrschaft einer bestimmten Klasse (der Kapitalisten) steht.
Es ist offensichtlich, dass der erstere Ansatz aufgrund der subjektiven Dimension vorherrschend ist, das heißt durch die Tatsache, dass die ökologische Krise in einer Phase auftritt, in der die vielfältigen Schäden der historischen Niederlage der Arbeiterklasse noch nicht überwunden sind und sie politische Kämpfe mit einem eigenständigen Kampf nicht prägen konnte. Ist es doch heute eine Tatsache, dass diejenigen, die das Ende der Welt für möglich halten, nicht an eine Alternative zum Kapitalismus glauben, womit sie leider keine Minderheit darstellen.[19]
Die historische Tatsache ist jedoch, dass der Kapitalismus überreif geworden ist, einer ihr gegensätzlichen Gesellschaftsordnung Platz zu machen. Er ist nicht nur durch die schweren sozialen und kulturellen Widersprüche im gesellschaftlichen Leben der Völker der Welt gekennzeichnet, sondern seine Zeit ist in Bezug auf die natürlichen Lebensbedingungen der menschlichen Spezies auf diesem Planeten auch objektiv gesehen abgelaufen. Daher sollte die Asymmetrie zwischen dem Objektiven und dem Subjektiven weder dazu führen, dass aufgrund der relativen und konjunkturellen Rückständigkeit des Subjektiven keine dringenden Maßnahmen ergriffen werden, noch dass aufgrund der Schwere des Objektiven angenommen wird, dass das Subjektive seine Rückständigkeit automatisch überwinden wird.
In ihrem heutigen Umfang ist die ökologische Krise eine Angelegenheit, die nicht nur die eine oder andere Tendenz des Kapitalismus, sondern in einer einzigartigen Weise alle seine Widersprüche beeinflusst. Neben diesem allgemeinen Aspekt, der alle Klassen betrifft, ist die ökologische Krise hauptsächlich eine indirekte Erscheinung des unversöhnlichen Widerspruchs zwischen den beiden Hauptsubjekten dieses Widerspruchs (der Bourgeoisie und der Arbeiterklasse), da sie nicht vom Hauptziel der kapitalistischen Produktion und damit vom grundlegenden Widerspruch des Kapitalismus gelöst werden kann. Insofern ist die ökologische Krise Ausdruck der Veränderung (Metamorphose) der Erscheinungsform des kapitalistischen Grundwiderspruchs, der mit der Entwicklung der Produktivkräfte und der Vertiefung der Arbeitsteilung weiter zunimmt. Aufgrund ihres Kontexts und ihrer allgemeinen Reichweite (dem Erhalt der Bedingungen für das Überleben vom Menschen und allen Lebewesen!) ist die Umweltfrage nicht nur ein äußerst dringendes politisches Thema, sondern auch ein Thema direkter Klassenkämpfe, bei dem jede Klasse ihre eigene Klassenperspektive und -interessen vertritt. So ist der „grüne Kapitalismus“ auch ein Ausdruck für die Neupositionierung der Bourgeoisie angesichts der Umweltkrise.
Besonders aus der Perspektive der Arbeiterinnen und Arbeiter in Branchen mit hohem Kohlenstoffausstoß wird die ökologische Frage als ein Problem wahrgenommen, das ihren eigenen Interessen entgegenstehe. Dies liegt hauptsächlich an der opportunistischen Linie des kleinbürgerlichen Flügels, der die Umweltbewegung heute beherrscht, sowie am Opportunismus der Gewerkschaftsbürokratie. Das eigentliche Problem besteht jedoch darin, dass die ökologische Krise isoliert vom kapitalistischen System betrachtet und thematisiert wird. So, wie diese Isolierung dazu führt, dass der Kapitalismus, also der Kapitalist, aus der Schusslinie genommen wird, schleift sie die Arbeiterinnen und Arbeiter in denIrrglauben, dass ihre Interessen mit denen ihrer Chefs übereinstimmen würden. Dies führt dazu, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter als eine Masse wahrgenommen werden, die ein universelles Thema wie die Ökologie nicht ernst nimmt und eine konservative Position einnimmt und darüber hinaus ihre Eigenschaften, durch ihr Handeln und ihre Bewegung das gesellschaftliche Leben zu prägen sowie der revolutionäre Motor des historischen Fortschritts zu sein, noch weiter in Frage gestellt.
Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass der Kampf gegen die Umweltkrise eine Auseinandersetzung ist, die vor allem von der Arbeiterklasse als einzige Klasse, deren eigene Klasseninteressen die allgemeinen Interessen der Menschheit umfassen, getragen werden sollte. Deshalb ist es entscheidend, die Umweltfrage nicht zu einem „tagespolitischen Thema“zu degradieren, sondern sie als grundlegend für daspolitische Bewusstsein der heutigen Arbeiterklasse zu betrachten und unter Arbeiterinnen und Arbeitern ein Bewusstsein zu entwickeln, das über das „Umweltbewusstsein“ hinausgeht und die systemischen und klassenspezifischen Problemquellen umfasst. Dies ist deswegen entscheidend, weil, wie wir oben erläutert haben, die Umweltkrise einen Punktmarkiert, an dem die Widersprüche zwischen den Existenzbedingungen des Kapitalismus und den natürlichen Lebensbedingungen immer offensichtlicher werden. Eigentlich erfordert dieser Punkt mindestens in Anbetracht der Reaktionen der Natur selbst eine Beendigung der Ausbeutungs- und Raubbeziehung des Kapitalismus zur Natur. Die derzeitige Lage des subjektiven Faktors ermöglicht diesen dringend erforderlichen Schritt jedoch nicht. Daher ist zu betonen, dass der „grüne Kapitalismus“ ein Versuch ist, den gipfelnden Widerspruch in der Beziehung des Kapitalismus zur Natur neu zu gestalten, jedoch zugunsten des Kapitals und zulasten der Umwelt, um das Ausplündern und Zerstören der Natur durch das Kapital weiterhin nachhaltig zu ermöglichen. Dieses Unterfangen wird sowohl eine ökologische, wirtschaftliche als auch soziale Rechnung nach sich ziehen, die versucht werden wird, allen voran auf die Jugend, aber auch die Arbeiterinnen und Arbeitern sowie die unterdrückten Völker abzuwälzen.
Natürlich erfordert das Gesagte auch die Berücksichtigung folgenden Aspektes des Problems: Arbeiter, die im Kapitalismus ihre Arbeitskraft verkaufen, sind zwangsläufig Subjekte der naturzerstörenden Praxis der kapitalistischen Produktionsweise. Selbst wenn die Arbeiter über das Geschehen trauern, da sie direkte Zeugen der Naturzerstörung sind, die im gesamten Produktions- und Zirkulationsprozess stattfindet, ändert sich an ihrer Realität nichts. Aus Sicht des mittleren und Kleinbürgertums kann Umweltzerstörung als ein facettenreiches Thema betrachtet werden, das Fragen der Ethik, des Lebensstils und des Bildes des Planeten, den sie ihren Kindern hinterlassen, betrifft. Für die Arbeiterinnen und Arbeiter hingegen sind diese Facetten entweder nicht mit ihren praktischen Leben vereinbar oder stellen ein moralisches Dilemma dar, das sie nicht lösen können. Die zwangsmäßige Lohnarbeitsbeziehung entfremdet sie von der Natur, obwohl sie im gesamten Produktionsprozess das aktivste Element im Stoffwechsel mit der Natur sind.Die Entfremdung der Arbeiterinnen und Arbeiter von der Natur ist also nicht die direkte und unausweichliche Konsequenz ihrer Gleichgültigkeit gegenüber der Natur oder ihrer Zerstörung, sondern die Folge der Gleichgültigkeit der Kapitalakkumulation gegenüber der Natur.
Behauptungen über die Gleichgültigkeit der Arbeiterinnen und Arbeiter gegenüber Umweltproblemen bleiben so lange sinnlos und realitätsverfälschend, solange sie weder direkt auf die Produktionsverhältnisse im Kapitalismus abzielen, bei denen die Arbeiterinnen und Arbeiter zum Verkauf ihrer Arbeitskraft gezwungen sind, noch auf die zerstörerische Beziehung der kapitalistischen Produktionsweise zur Natur. Andererseits bedeutet diese Realität der kapitalistischen Produktionsverhältnisse nicht, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter nicht die folgende Erkenntnis verinnerlichen sollten: Solange sie ihre Horizonte und Handlungen auf ihre individuellen und täglichen Interessen beschränken (wie den Jobverlust zu vermeiden oder Arbeit zu finden), werden sie immer den Kürzeren ziehen. Sie werden weiterhin von einem menschenwürdigen und sicheren Leben, einer gesunden Umwelt, sauberer Luft, Wasser und Natur abgeschnitten sein. Die steigende Rechnung der Umweltkrise wird in erster Linie von ihnen selbst und den Armen der Welt bezahlt werden.[20]
Die Arbeiter, die sich im Zentrum des materiellen Austauschs (des Stoffwechsels) mit der Natur befinden, werden die Umweltkrise nicht überwinden können, solange sie nicht unabhängig handeln. Was wir brauchen, sind keine Träume, die uns von der Realität entfremden, beruhigen oder trösten, sondern Träume, die uns die Kraft geben, unsere Realität zu verändern und zu verbessern. Das Gegenmittel zur Verzweiflung, die angesichts des Zustands der Welt und der Natur herrscht, muss darin bestehen, solche Träume zu haben.
Übersetzt aus dem Türkischen.
Fußnoten:
[1] Marx, Karl; Engels, Friedrich: Die Deutsche Ideologie, Gesammelte Werke, Band 3 (1969), S. 38.
[2] Ebenso empfehlenswert: Hans Heinz Holz, „Historischer Materialismus und ökologische Krise“.
[3] Marx, K. (1999) Grundrisse: Birinci Cilt, çev. A. Gelen, Sol Yayınları, Ankara, sf. 315. [Zitat übersetzt durch den Übersetzer.]
[4] Marx, Karl: Das Kapital. Gesammelte Werke, Band 23 (1962), S. 285.
[5] Ausführlichere Informationen (auf türkisch) unterhttps://www.narterlaw.com/emisyon-ticareti-sistemi/
[6] Emissionshandel ist ein Thema für sich. Hier fassen wir dieses System in Bezug auf unser Thema grob zusammen.[7] Es gibt auch eine CO2-Steuer, die wir nicht erwähnt haben, um den Artikel nicht zu verlängern. Der Unterschied zwischen ihnen besteht darin, dass die eine (Steuer) durch einen bestimmten Preis bestimmt wird, während die andere (Emissionszertifikat) durch die Menge der CO2-Emissionen bestimmt wird. Natürlich betrifft die CO2-Steuer direkt große Massen von Menschen. Als Reaktion darauf entstand in Frankreich die Gelbwesten-Bewegung. Die Wirkung des Zertifikats wiederum ist indirekt.
[8] Der Energiesektor und die Mehrzahl der energieintensiven Industrien sind erfasst. Im Jahr 2021 wurde auch der innereuropäische Luftverkehr einbezogen. Insgesamt sind 11.000 Anlagen in 30 europäischen Ländern vom EHS erfasst. Die EU hat kürzlich angekündigt, dass auch die Schifffahrt in das EHS einbezogen werden soll.
[9] Ebenjene EU hat kürzlich Atomenergie und Erdgas als „grüne Energieträger“ eingestuft! Diese Einstufung hat den Weg für den Transfer von Hunderten von Milliarden Euro in Energieträger geebnet, die eigentlich keine „grünen Energieträger“ sind. Man schätzt, dass sich allein die Investitionen in „Atomkraftwerke der neuen Generation“ bis 2050 auf 500 Milliarden Euro belaufen werden.
[10] Siehe die offizielle Website der Europäischen Zentralbank: https://www.ecb.europa.eu/pub/economic-bulletin/focus/2021/html/ecb.ebbox202106_05~ef8ce0bc70.en.html
[11] Herwartz, C./S. Kersting (2021): Nach Glasgow: Industrie fordert internationalen CO2-Handel, in: Handelsblatt, 18.11.2021, [online] https://www.handelsblatt.com/politik/international/klimaschutz-nach-glasgow-industrie-fordert-internationalen-CO2-handel/27805198.html [abgerufen am 05.10.2023].
[12] Coşkun, C. (2022) „Yeşil geçişe hammadde fiyatı baskısı”, in: Bloomberght, https://www.bloomberght.com/yesil-gecise-hammadde-fiyati-baskisi-2297569 [Zitat übersetzt durch den Übersetzer.]
[13] Es liegt auf der Hand, dass der Preisanstieg zu Gunsten der Kapitalisten, die in diese Rohstoffe investieren, und zu Ungunsten der Kapitalisten, die diese Rohstoffe in der Produktion verwenden, ausfällt. Diese Situation wird natürlich Folgen haben, wie die Verschärfung des Wettbewerbs zwischen den Kapitaleignern, die Förderung von Innovationen in der verwendeten Technologie oder die Schaffung neuer Monopole.
[14] Einige dieser Aspekte wurden bereits in unseren früheren Artikeln (Ausgaben 52 und 54 von „Teori ve Eylem“) angesprochen, so dass wir sie hier nicht wiederholen wollen.
[15] Tesla ist in dieser Hinsicht ein herausragendes Beispiel. Da die elektrischen Teslas kein Kohlendioxid ausstoßen, verkauft das Unternehmen die nicht genutzten Emissionszertifikate an Hersteller fossil betriebener Autos. Allein im zweiten Quartal 2021 erwirtschaftete das Unternehmen von Elon Musk auf diesem Wege 354 Millionen Dollar Umsatz, ein Drittel seines Quartalsgewinns!
[16] Ateş, G. (2020) „Marx ve ekoloji: ‘Devasız bir yarılma’”, in: Evrensel, https://www.evrensel.net/haber/404748/marx-ve-ekoloji-devasiz-bir-yarilma [abgerufen am 05.10.2023] [Zitat übersetzt durch den Übersetzer.]
[17] Der Kapitalismus und die Vogelwelt (1886): in: Die Neue Zeit, Bd. 4, Nr. 10, S. 474–478.
[18] Dass beim Aufbau des Sozialismus die ökologische Zerstörung innerhalb der einen oder anderen Grenze in den Vordergrund tritt, darf zu keiner unnötige Zurückhaltung beim Aufzeigen kapitalistischer Praxis führen. Die im Sozialismus auftretenden Probleme bei der Aufrechterhaltung des ökologischen Gleichgewichts waren im Gegensatz zum Kapitalismus keine zwangsläufigen Folgen der Natur der sozialistischen Produktionsweise. Sie stellten vielmehr die Zerstörung dar, die ein System, das unter der kapitalistischen Belagerung um Leben und Tod kämpfte, widerwillig und zwangsweise auf sich nahm, um zu überleben. Im Kapitalismus hingegen ist die Zerstörung der Natur ein Strukturmerkmal der Produktionsweise. [19] Für Alain Lipietz beispielsweise, einen Ökonomen und einen der Theoretiker der französischen Grünen-Bewegung, sollte die kapitalistische Produktionsweise kein Thema sein, da sie den „unüberwindlichen Horizont unserer Zeit“ darstellt. Da „die Menschheit“ den „Traum einer nicht-kapitalistischen Entwicklung vorläufig aufgegeben“ habe, stellt sich für Lipietz nur die Frage: „Was für ein Kapitalismus?“, zitiert nach Stache, C. (2017) Kapitalismus und Naturzerstörung, Budrich UniPress Ltd., S. 381.
[20] Nach den in einer Oxfam-Pressemitteilung zitierten Daten zu den „CO2-Emissionen pro Kopf (CO2 pro Tonne) nach Einkommensgruppen“ stiegen die Pro-Kopf-Emissionen des reichsten Prozents der Weltbevölkerung von 58 im Jahr 1990 auf 74 im Jahr 2015 (Prognose 70 für 2030). Bei den reichsten 10 Prozent sind es 21,5/24 bzw. (21). Bei den 40 Prozent mit mittlerem Einkommen: 4,2/5,0 und (4,8). Bei den armen 50 Prozent: 0,7/0,8 und (1). Mit anderen Worten: Der „CO2-Fußabdruck“ der mittleren Einkommen und der Armen ist unvergleichlich geringer als der der Reichen, dennoch sind sie am stärksten von den vielfältigen und schwerwiegenden Folgen der Klima- und Umweltkrise betroffen! Siehe Oxfam International (2023): Carbon emissions of richest 1% set to be 30 times the 1.5°C limit in 2030, [online] https://www.oxfam.org/en/press-releases/carbon-emissions-richest-1-set-be-30-times-15degc-limit-2030.