Arbeiterklasse in China

Das chinesische „Rätsel“ aus der Perspektive des chinesischen Proletariats

Mit seinem enormen Wirtschaftswachstum in den letzten Jahrzehnten hat China eine Reihe von Debatten darüber ausgelöst, welche Gesellschaftsform es hat, und tut dies auch weiterhin. Dabei kommen verschiedene Fragen auf: ob das Land sozialistisch oder kapitalistisch ist, ob es sich in einer Übergangsphase vom Sozialismus zum Kapitalismus befindet, ob es einst sozialistisch war, aber seit den späten 1970er Jahren eine kapitalistische Restauration erlebt oder ob es in seiner jetzigen Form einen „Marktsozialismus“ oder einen „Staatskapitalismus“ erlebt. Wenn man akzeptiert, dass kapitalistische Produktionsverhältnisse weit verbreitet sind, verwirrt die Existenz der Kategorien „Staatseigentum“ und/oder „öffentliches Eigentum“ immer wieder und schafft ein „chinesisches Rätsel„. Der vorliegende Artikel versucht, dieses „chinesische Rätsel“ anhand der Erfahrungen des chinesischen Proletariats seit seinem Entstehen zu entschlüsseln.

Die Herausbildung des modernen Proletariats in China

Vor der Revolution von 1949 hat die quantitative und qualitative Schwäche des modernen Proletariats in China im Vergleich zu seinen Pendants in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern einige zu der Interpretation veranlasst, dass die Revolution nicht Produkt der Arbeiterklasse war, sondern sie erst geschaffen hat.[1] Es ist klar, dass der erste Teil dieser Behauptung die Existenz und die Bewegung der Arbeiterklasse unterschätzt. Die Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse, gestärkt durch die militärische, strategische und finanzielle Unterstützung der Kommunistischen Internationale, kann nicht geleugnet werden. Dieser Kampf richtete sich sowohl gegen die Kuomintang Chinas (KMT) als auch gegen die japanische Besatzung und gegen die imperialistische Ausbeutung und Ausplünderung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – von Zeit zu Zeit erstarkte er, von Zeit zu Zeit ebbte er ab, aber seine kontinuierliche Existenz war unbestreitbar.

Es ist jedoch auch offensichtlich, dass das moderne Proletariat nicht unabhängig vom Stand der modernen industriellen Entwicklung betrachtet werden kann. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war China ein rückständiges Industrieland, das von den USA, Großbritannien, Japan und anderen imperialistischen Mächten kontrolliert wurde. Ein großer Teil seiner Industrie bestand aus der Leichtindustrie, in der die Baumwoll- und Seidenproduktion vorherrschend war. Es gab keine eigene Schwerindustrie; die meisten der bestehenden Unternehmen bestanden aus Reparaturwerkstätten, Docks, Eisenbahnreparaturwerkstätten in ausländischem Besitz und relativ primitiven Fertigungsstätten, die Rohstoffe und Halbfabrikate für entwickelte kapitalistische Länder produzierten. Der Maschinenbau hingegen war so gut wie nicht vorhanden und bestand hauptsächlich aus der Reparatur und Montage von Maschinen, die aus kapitalistischen Ländern importiert wurden. Häfen und das Schienennetz wurden entlang der Bedürfnisse der imperialistischen Ausbeutung entwickelt. In dem Land mit den größten Bodenschätzen der Welt wurde der Bergbau in dem Maße entwickelt, wie es die imperialistische Ausbeutung zuließ – d.h. auf einem extrem niedrigen Niveau und unter primitiven Bedingungen.[2] Außerdem hatten die Bombardements und Sabotage während der japanischen Besatzung und des Bürgerkriegs mit der Kuomintang große Schäden in den relativ entwickelten Industriegebieten verursacht. Insgesamt hatte die Industrie größeren Schaden genommen als die Landwirtschaft und offiziellen Quellen zufolge, die zehn Jahre nach der Revolution veröffentlicht wurden, war dabei die Produktion von Produktionsmitteln (Stahl, Roheisen, Kohle, Strom, Zement usw.) bis 1949 um die Hälfte zurückgegangen.[3] In einem Land mit etwa 550 Millionen Einwohnern lebte die überwiegende Mehrheit (grob geschätzt 400-450 Millionen) auf dem Land, wo feudale Produktionsverhältnisse und damit feudale Eigentumsformen und Klassenwidersprüche vorherrschten.[4]

Dieser Stand der wirtschaftlichen Entwicklung bestimmte natürlich die Hauptaufgaben der Revolution von 1949, die ein halbfeudales, halbkoloniales Land eroberte. In den ersten Jahren der Revolution wurden das Land, die Vorräte und die Produktionsmittel, die von den Großgrundbesitzern in Zusammenarbeit mit dem Imperialismus durch die Bodenreform konfisziert worden waren, an die Landlosen und die Kleinbauernschaft verteilt. Diese Hauptaufgabe wurde jedoch nicht vollständig erfüllt, da das Eigentum der Großbauernschaft unangetastet blieb. Ähnlich verhielt es sich in den Stadt- und Küstenregionen: Während das Eigentum der kollaborierenden Monopolbourgeoisie konfisziert wurde, wurden die Unternehmen und Produktionsmittel der kleinen und mittleren nationalen Bourgeoisie, die als eine der treibenden Kräfte der Bewegung angesehen wurde, nicht beschlagnahmt. [5]In der Zeit des Ersten Fünfjahresplans (1952-1957; FJP), in der die Politik der raschen Industrialisierung umgesetzt wurde, änderte sich nichts an der Haltung gegenüber der nationalen Bourgeoisie und sie wurde als Verbündeter der politischen Macht und der Wirtschaft angesehen. Arbeitnehmer, die sich dagegen aussprachen, wurden beschuldigt, „zu viel zu verlangen„, und von den offiziellen Vertretern wurden Zugeständnisse zugunsten der Kapitalisten gefordert.[6] Die nationale Bourgeoisie, deren Mitglieder zum Teil direkt in den Staatsbetrieben „beauftragt“ waren, wurde in Eigentumskategorien wie „staatskapitalistisch„, „staatlich-privat„, „öffentlich-privat“ eingeordnet, und diese Situation setzte sich bis Ende der 1970er Jahre fort, wobei es je nach Epoche kategoriale Variationen gab (Genossenschaft, Kollektiv, Kommune usw.). Kurz gesagt, die Verstaatlichung erfolgte nicht auf sozialistischer Grundlage, und genau aus diesem Grund stand die Entwicklung des Privateigentums und seine verschiedenen Formen im Widerspruch zur Arbeit.

Dies ändert natürlich nichts an der Tatsache, dass ausgehend vom 1. FJP ein enormer Industrialisierungsprozess eingeleitet wurde. Neben den konfiszierten Betrieben der kollaborierenden Bourgeoisie wurde während des 1. FJP, der mit finanzieller, technischer und personeller Unterstützung und Anleitung der UdSSR ins Leben gerufen wurde, die Schwerindustrie und der Aufbau der entsprechenden Infrastruktur priorisiert, wie es auch in offiziellen Dokumenten heißt.[7] Die Tatsache, dass während der Zeit des 1. FJP alle drei Tage ein neues großes Fabrik- oder Bergbauprojekt gestartet wurde, an dem tausende sowjetische Ingenieure, technische und planerische Experten beteiligt waren, gibt einen wichtigen Einblick in das Tempo der Industrialisierungsinitiative.[8]

Mit diesem Grad der Industrialisierung ist die Entwicklung des modernen Proletariats unvermeidlich. Nach offiziellen Statistiken betrug Ende 1949 die Zahl aller Lohnempfänger rund 8 Millionen, von denen 3 Millionen zum Industrieproletariat gehörten.[9] Nach Statistiken aus den USA betrug die Zahl der Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe im Jahr 1949 8,9 Millionen. Davon waren 5,7 Millionen (64 %) selbständige Einzelhandwerker; 1,6 Millionen (18 %) waren Arbeiter in privaten Kleinbetrieben mit durchschnittlich dreizehn Beschäftigten; und 1,4 Millionen (15 %) waren Arbeiter in Großbetrieben mit durchschnittlich 500 Beschäftigten.[10] Unabhängig davon, ob sie aus China oder den Vereinigten Staaten stammen, zeigen diese Zahlen in einem Land mit einer Bevölkerung von über 550 Millionen Menschen die quantitative Schwäche des Industrieproletariats in Verbindung mit dem niedrigen Entwicklungsstands der modernen Industrie.

Im Zeitraum 1949-1952 stieg die Zahl aller Lohnempfänger von 8 Millionen auf 15,8 Millionen, und davon die Zahl der Industrieproletarier von 3 Millionen auf fast 5 Millionen (31,25 Prozent aller Lohnempfänger). Am Ende des 1. FJP-Zeitraums waren 9 Millionen (37 %) der 24,5 Millionen Lohnempfänger Industriearbeiter.[11]

Westliche Quellen gehen von einer Zunahme des städtischen Proletariats um 6 Millionen zwischen 1949 und 1957 aus. Davon wird der Anteil der einzelnen Handwerker, die in Genossenschaften statt in großen Industrieunternehmen tätig sind, als recht gering eingeschätzt. Man kann davon ausgehen, dass ein Teil des Anstiegs durch die Anzahl städtischer Arbeitsloser vor der Revolution aber auch durch das natürliche Bevölkerungswachstum zu begründen ist. Deutlich ist aber, dass die Hauptquelle der Arbeitskräfte die Zuwanderer vom Land in die Städte sind. In diesem Zeitraum stieg der Anteil der städtischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung von 10,6 % im Jahr 1949 auf 15,4 % im Jahr 1957 (von 57,6 Millionen auf 99 Millionen). Wenn man berücksichtigt, dass 75 % der Beschäftigten in der rasch expandierenden staatlichen Industrie im Jahr 1955 unter 35 Jahre alt waren, kann geschlussfolgert werden, dass sich eine neue und junge Generation des modernen Proletariats herausbildete.[12]

Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Die Aussage, dass „die chinesische Revolution das moderne Proletariat geschaffen hat„, ist zu hoch gegriffen. Es wäre jedoch nicht falsch zu sagen, dass das chinesische Proletariat und die anderen Produktivkräfte während des 1. FJP einen sprunghaften Anstieg ihres Anteils an der lohnabhängigen Bevölkerung erlebten. Es ist nicht möglich, anhand der verfügbaren Daten eine Aufschlüsselung nach Sektoren vorzunehmen. Man kann aber basierend auf den riesigen Industrieprojekten, die durchgeführt wurden, sagen, dass die Arbeiter in Eisen-, Stahl-, Baumaschinen-, Elektromaschinen-, Kessel- und Motorenfabriken, Wärme- und Wasserkraftwerken sowie Kohlebergwerken den Kern des modernen Proletariats in China bildeten.

Interessanterweise stieg die Zahl der Lohnempfänger und Industriearbeiter in den offiziellen Daten von 1958 sprunghaft an. Die Zahl aller Lohnempfänger hat sich im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt und wurde 1958 mit 45 Millionen 323 Tausend angegeben, von denen 25 Millionen 623 Tausend (56,53 Prozent) Industriearbeiter waren.[13] Diese Daten für 1958, als der Zweite Fünfjahresplan in die Praxis umgesetzt wurde, umfassen die Beschäftigten in neu eröffneten Industriebetrieben auf dem Lande sowie die Beschäftigten in Industrie- und Handelsbetrieben, im Getreidehandel und kulturelle und soziale Einrichtungen, die vom Staat den neu gegründeten Gemeinden übergeben wurden.

Dieser scheinbare Quantensprung ist im Grunde genommen Ausdruck eines Wandels in der Industrialisierungspolitik. Denn die Priorisierung der Schwerindustrie, die in der Planungsphase den Kern des 1. FJP ausmachte, und der darauf aufbauende Wiederaufbau aller anderen Wirtschaftssektoren standen schon vor Ende des Plan-Zeitraums zur Diskussion. Innerhalb der KPCh setzte sich unter der Führung von Mao der Gedanke durch, dass die Investitionen in die Schwerindustrie (und damit in die Produktion von Produktionsmitteln) zugunsten der Landwirtschaft und der von der Landwirtschaft abhängigen Leichtindustrie reduziert werden sollten. Es wurde sogar argumentiert, dass die Landwirtschaft die Grundlage der Wirtschaft sei, was eine Rückkehr zur politischen Ökonomie vor dem Marxismus-Leninismus darstellte.[14] Abgesehen von den innerparteilichen Auseinandersetzungen bildete dies den Rahmen für die gesamte Industrie- und Agrarpolitik des zweiten Fünfjahresplans.

Die Politik, die ab diesem Zeitpunkt in die Praxis umgesetzt wurde, war weit davon entfernt, den sozialistischen Aufbau zu verwirklichen, wie es die von Fraktionskämpfen beherrschte KPCh behauptete. Stattdessen wurde mit einer Dezentralisierungspolitik der Boden dafür geschaffen, dass die Marktbeziehungen vom Land bis zur Stadt, von der Landwirtschaft bis zur Industrie florierten und sich allmählich in einer Weise ausweiteten, die den zentralisierten Plan untergrub. Alle „Aktionen“ gegen die angebliche Bürokratie, einschließlich des Großen Sprung nach vorn und der Kulturrevolution, führten zu neuen Aufkommen der Bürokratisierung.

Freie Marktwirtschaft und Öffnung für internationale Monopole: Die Transformation des Landproletariats

Wo der Plan weiter dezentralisiert wird, finden die Beziehungen des freien Marktes den Boden, auf dem sie gedeihen können. Genau das geschieht jetzt. Wie sonst in keinem Land, fließen auch in China die Flüsse nicht aufwärts. Infolgedessen geschah das Unvermeidliche, und es begann die 1978 endgültig verkündete Periode der „Reformen und der Expansion nach außen„. Darin wurde nicht nur die Expansion, sondern auch die Herrschaft der kapitalistischen Produktionsverhältnisse vom Staat unter der KPCh organisiert und gefestigt. Sowohl auf dem Land als auch in den Städten wurden eine Reihe von „Reformen“ durchgeführt, was die Kommerzialisierung beider Bereiche bedeutete.

Die bekannteste davon ist zweifellos der Prozess der De-Kollektivierung der landwirtschaftlichen Produktion. Der Prozess der Auflösung des kollektiven Eigentums an der landwirtschaftlichen Produktion wurde durch das „Haushalts-Verantwortungssystem“ rechtlich abgesichert. Land und Produktionsmittel wurden unter den Haushalten aufgeteilt und privatisiert. Zusammen mit dem Familieneigentum, dem die Kontrolle über die Produktion übertragen wurde, wurde die ländliche Kleinproduktion formell eingeführt. In den 80er Jahren, als die Kommunen, die den Zusammenschluss von privatem Gruppeneigentum darstellten, schrittweise abgeschafft wurden, endete das kapitalistische Staatsmonopol für den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen. So konnten die Haushalte, die auf der Grundlage von Verträgen mit dem Staat gekauft und verkauft hatten, nun ihre Produkte auf dem Markt anbieten. Alle privaten Eigentumsrechte, wie das Recht, Land zu pachten, zu verkaufen oder zu vererben, wurden in diesem Jahrzehnt formell anerkannt. Es entstanden Praktiken zur Vergabe von Leiharbeit, und die Zahl der bezahlten Arbeitskräfte in der Landwirtschaft nahm ständig zu.[15]

Auf dem Land, wo in den 1980er Jahren immer noch 80 Prozent der Gesamtbevölkerung (790 Millionen) lebten, ist eine weitere Folge der Kommerzialisierung der landwirtschaftlichen Produktion das Anwachsen der Überbevölkerung.[16] Diese Arbeitskräfte können jedoch aufgrund des Bevölkerungsregistrierungssystems (hukou) nicht massenhaft vom Land in die Städte abwandern.[17] Dies hat zur Folge, dass mehrere Millionen Menschen auf dem Land als Arbeitskräfte für die kapitalistische Industrialisierung zur Verfügung stehen. Die „Gemeinde- und Dorfunternehmen“ sind nicht direkt im Besitz des Staates, sondern Joint Ventures zwischen den Unternehmen der als „öffentliches Eigentum“ eingestuften Verwaltungseinheiten und dem Privateigentum. Diese Unternehmen konnten diese Armee von mehreren Millionen Menschen an die vorderste Front der industriellen Produktion treiben. In den 80er Jahren ist die Zahl der Gemeinde- und Dorfunternehmen, die sich auf die arbeitsintensive Produktion von individuellen Konsumgütern (Textilien, Konfektionskleidung, Spielzeug, Lebensmittelverarbeitung usw.) konzentrieren und außerhalb der Produktion der staatlichen Unternehmen liegen, explosionsartig angestiegen. Bemerkenswerterweise hat sich zwar die Zahl der Unternehmen, die zu Verwaltungseinheiten gehören, nicht wesentlich verändert, die Zahl der Einzelunternehmen ist jedoch exponentiell angestiegen. Im Jahr 1978 gehörten 79% der 1,525 Millionen Gemeinde- und Dorfunternehmen zu Dorf- und der Rest zu Stadtverwaltungen, es gab keine Einzelunternehmen. Im Jahr 1987 gehörten 91% der 17,5 Millionen Gemeinde- und Dorfunternehmen zu Einzelunternehmen.[18] In diesen „getarnten Privatunternehmen“ konnten die lokalen Behördenleiter ihre eigenen Manager ernennen und so die Aufteilung der Gewinne verwalten und sogar die Kontrolle über das ausländische Kapital aufrechterhalten.[19]

Die rasche Entwicklung der kapitalistischen Industrialisierung auf dem Land hat natürlich einen raschen Proletarisierungsprozess zur Folge. Während 1978 die Zahl der Beschäftigten in diesen kleinen und mittelgroßen Betrieben der Warenproduktion nur etwas mehr als 28 Millionen betrug, waren 1996, das als das goldene Jahr der Gemeinde- und Dorfunternehmen gilt, 135 Millionen Arbeiter in 23,4 Millionen Betrieben. D.h. jeder fünfte Arbeiter im ganzen Land und jeder dritte Arbeiter auf dem Land war in diesen Ausbeuterbetrieben, deren Anteil an den Exporten 33,7 Prozent erreichte, in den Reihen des chinesischen Proletariats tätig.[20]

Gegen Ende der 1990er Jahre wurden einige dieser Unternehmen, deren Status als „öffentliches Eigentum“ nur ein Aushängeschild war, direkt privatisiert und einige wurden vergesellschaftet, wodurch das Gemeinde-und Dorfunternehmens-Wunder, das seine Funktion erfüllt hatte, beendet wurde. Millionen von Migranten, die durch diese Entwicklung freigesetzt wurden, strömten in die Städte und in die ausländischen Fabriken in den Küstengebieten.

Dies war auch die Zeit, in der die Ausbeutung von Arbeitskräften für ausländisches Kapital in den „Sonderwirtschaftszonen“ geöffnet wurde, die in den chinesischen Küstenregionen eingerichtet wurden. Ostasiatische Kapitalisten, die das Recht erhielten, Fabriken zu errichten und meist Zulieferer von Monopolen in Westeuropa und den USA waren, brachten ihre Produktionsmittel und Technologien in diese Zonen und somit mit den billigsten Arbeitskräften der Welt zusammen.

Die Umwandlung von Shenzhen, wo das Pilotprojekt durchgeführt wurde, ist ein ideales Beispiel. In Shenzhen, das 1979 von einem Dorf zu einer Stadt ernannt wurde, wurde die erste Sonderwirtschaftszone am 1. Mai 1980 eingerichtet, und 1990 wurde die gesamte Stadt zu einer Sonderwirtschaftszone, die alle umliegenden Industriegebiete einschloss. Shenzhen, das in den 1990er Jahren als „Fabrik der Welt“ bezeichnet wurde, wurde 2004 in China die erste Region ohne dörfliche Gebiete. Die Arbeitskräfte dieser Sonderwirtschaftszone bestanden wie typisch aus Arbeitern vom Land. Die erste Generation dieser Arbeitskräfte sind die Kinder von Familien, die noch auf dem Dorf wohnen und selbst Kleinunternehmer auf dem Land sind. Diese sehen die Fabrikarbeit in der Stadt meist als vorübergehende Möglichkeit, Geld zu sparen. Aufgrund des Hukou-Systems haben Arbeitnehmer, die als „Zeitarbeiter“ gelten, entweder keine sozialen Rechte oder sind der Initiative der Unternehmen ausgeliefert. Es gibt Tausende von ihnen, die von den Behörden keinen befristeten Status erhalten und unregistriert zuwandern, so dass sie das Unternehmen, in dem sie arbeiten, nicht verlassen können. Das liegt daran, dass die staatlichen Sicherheitskräfte vor den Werkstoren auf der Straße auf sie warten und Aufenthaltsgenehmigungen kontrollieren. Unter Ausnutzung dieser Situation haben einheimische und ausländische Kapitalisten Wohnheime/Schlafsäle als Teil der Fabrikkomplexe eingerichtet und die Personalausweise der Arbeiter beschlagnahmt. Eine weitere gängige Praxis besteht darin, von den Arbeitnehmern bei der Einstellung Bürgschaften/Kautionen zu verlangen. Wenn der Arbeiter den Bedingungen nicht standhält und fliehen will, verliert er so mindestens ein Monatsgehalt. Um die Arbeitskräfte in den Betrieben zu halten und die Produktion nicht zu unterbrechen, setzten die Kapitalisten verschiedene Strafen ein, darunter auch körperliche Gewalt, um sie zu disziplinierten Sklaven zu machen.[21] In den 2000er Jahren hatte sich in diesen Regionen ein völlig enteignetes, billiges, unorganisiertes Proletariat etabliert.

Die Lebensbedingungen in diesen Produktionskomplexen, in die nur die Arbeiter reingelassen werden, wurden nur durch große Katastrophen aufgedeckt, die als Tragödien in die Geschichte der chinesischen Arbeiterklasse eingegangen sind. Dazu zählt der Brand von 1993, bei dem siebenundachtzig Arbeiterinnen und Arbeiter in der zu Hongkong gehörenden Zhili-Spielzeugfabrik in Shenzhen, wo Arbeitskraft sehr viel billiger ist, ums Leben kamen.[22]

Privatisierung und Korporatisierung: Die Transformation des städtischen Proletariats

Die Umwandlung der staatlichen Unternehmen, die den Kern der industriellen Tätigkeit in den Großstädten bilden, erfolgte in ähnlicher, aber langsamerer Weise. Betrachtet man die Gesamtheit der politischen Maßnahmen, die seit 1978 erprobt oder in den 80er Jahren umgesetzt wurden, so stellt man fest, dass der überwiegend als „Trennung von Eigentum und Management“ bezeichnete Prozess abgeschlossen ist. Die Dezentralisierung wurde vorangetrieben und so die Produktions- und Vertriebsplanung auf betrieblicher Basis eingeführt. Wie auf dem Land wurde eine Beziehung zwischen den Unternehmen und dem Staat auf der Grundlage von Verträgen hergestellt, die die Aufteilung der Gewinne regeln.[23]Staatliche Unternehmen, deren Anteil an den Gesamtsteuern bis dahin bei etwa 75 Prozent lag und die 80-90 Prozent ihrer Gewinne an die Zentralregierung abführten, erhielten „Privilegien„. Dazu gehörten die Einbehaltung von Gewinnen zu Sätzen, die auf der Grundlage dieser Verträge festgelegt wurden, der Vertrieb von Produkten, die eine festgelegte Quote überstiegen, und die Festlegung von Preisen und Löhnen. Außerdem gibt es kein zentralisiertes Vertragssystem, das eine einheitliche Norm festlegt. Jede Unternehmensleitung konnte die Bedingungen ihres eigenen Vertrages entsprechend ihrer Verhandlungen mit den staatlichen Behörden festlegen. Dieses als „System der Vertragsverantwortung“ bezeichnete System der Kommerzialisierung wurde bis Ende 1987 in 80% der großen und mittleren Staatsbetriebe eingeführt und bis 1993 auf alle Staatsbetriebe ausgedehnt.[24] Obwohl die KPCh-Führung diese Schritte als „Diversifizierung der Eigentumsformen“ bezeichnet, ist das „Staatseigentum“ an diesen Unternehmen rein rechtlich-formal. Es gilt das Wertgesetz und es findet eine Ausbeutung für Mehrwert statt. Die Unternehmensleiter, zumeist Parteikader, haben private Eigentumsrechte an den Produktionsmitteln.

Die Proteste, die im April 1989 auf dem Tian’anmen-Platz in Peking ausbrachen und sich im Mai auf 400 Städte im ganzen Land ausbreiteten, waren eine Reaktion auf diesen Wandel. Es wird berichtet, dass Peking während des anderthalb Monate dauernden Aufstands fast in eine von den Arbeitern kontrollierte Stadt verwandelt wurde.[25] Einerseits wurden die Studentenmärsche gegen Korruption und Bürokratie fortgesetzt, andererseits gingen die Arbeiter in Gruppen auf die Plätze, um gegen die Inflation, den zunehmenden Produktionsdruck und Misshandlungen, insbesondere am Arbeitsplatz, zu protestieren. Es war das erste Mal, dass die Idee einer von der offiziellen Gewerkschaft unabhängigen Organisierung der Arbeitnehmer in einem solchen Ausmaß diskutiert wurde. Wie in vielen anderen Fällen wurden diese Versuche jedoch durch die Repressionen des Staatsapparates zurückgeschlagen, wie bei den Tian‘anmen-Zwischenfällen. Somit wird der Weg für die Vermarktlichung frei gemacht.

Die Privatisierung auf lokaler Ebene, die Anfang der 1990er Jahre mit dem Verkauf kleiner staatlicher Unternehmen durch die Kommunalverwaltungen begann, erhielt 1995 mit den vom Zentrum der KPCh formulierten Praktiken unter dem Motto „Behaltet die Großen, lasst die Kleinen“ einen rechtlichen Rahmen auf nationaler Ebene. Bis in die 2000er Jahre wurden die kleinen und mittleren Unternehmen in Genossenschaften auf Aktienbasis umgewandelt, öffentliche Aktien wurden rasch zum Verkauf angeboten und der Prozess der Übertragung an in- und ausländische Kapitalisten wurde abgeschlossen.[26] Mit dem 1993 erlassenen „Gesellschaftsgesetz“ wurden große staatliche Unternehmen als Aktiengesellschaften organisiert. Ab den 2000er Jahren wurde mit der Übertragung von Anteilen an diesen Unternehmen an in- und ausländische Kapitalisten begonnen. Der zahlenmäßige Ausdruck des dramatischen Rückgangs des Anteils der staatlichen Industrieunternehmen an allen Industrieunternehmen (von 24,1 Prozent im Jahr 1978 auf 0,8 Prozent im Jahr 1998) deutet eigentlich auf ein Verschwinden hin.[27]

Die komplementäre Formel der Privatisierung kommt in dem Slogan „Abbau von Arbeitskräften zur Steigerung der Produktivität“ zum Ausdruck. Das Zentrum der KPCh hat von Anfang an offen erklärt, dass es „Annexionen, Standardkonkurse, Entlassungen von Arbeitnehmern zur Verbesserung der Effizienz“ riskieren würde, um „mit Hilfe des Kapitals als Bindemittel über den Markt große Gruppen von multiregionalen, multisektoralen, eigentumsübergreifenden und multinationalen Unternehmen mit relativ starker Wettbewerbsfähigkeit zusammenzubringen„.[28] Es ist daher unbestreitbar, dass die Beschäftigten der staatlichen Unternehmen, deren Zahl zu Beginn der Reform 75 Millionen betrug (78 Prozent der städtischen Beschäftigung, etwa 19 Prozent der Gesamtbeschäftigung) und in den 90er Jahren auf über 100 Millionen anstieg, aber infolge der Privatisierung ab Ende der 90er Jahre auf 64 Millionen im Jahr 2007 zurückging (21,9 Prozent der städtischen Beschäftigung, 8,3 Prozent der Gesamtbeschäftigung), Lohnsklaven sind.[29] Schätzungen zufolge wurden bis 2002 mehr als 60 Millionen ehemalige Staatsbedienstete entlassen – ein Rückgang der Beschäftigung in staatlichen Unternehmen um 44 Prozent innerhalb von zehn Jahren.[30] Die im Vergleich zu anderen Sektoren der Arbeiterklasse relativ hohen Löhne der verbliebenen Staatsbediensteten und die im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern verbesserten sozialen Rechte der verbliebenen Staatsbediensteten, die Tag für Tag abgebaut werden, ändern nichts an ihrer Stellung in den Produktionsverhältnissen. Auf jeden Fall sind diese Vorteile zu kurzlebig, als dass man sie im Einzelnen erläutern müsste.

Rechtlicher Rahmen des neuen Arbeitsmarktes

Natürlich ist zu erwarten, dass parallel zu all diesen Umgestaltungen auch Arbeitsgesetze entwickelt wird. Zunächst muss jedoch daran erinnert werden, dass die KPCh nicht die unabhängige politische Organisation des revolutionären chinesischen Proletariats ist und dass der Gesamtchinesische Gewerkschaftsbund, die einzige zugelassene und offizielle Gewerkschaft seit der Revolution von 1949, als verlängerter Arm der Partei als Mittel der Kontrolle über die Arbeiterklasse durch die KPCh und die chinesischen Regierungen weiter existiert hat. Die Gewerkschaftsbürokraten, von denen viele in den Vorständen der Unternehmen sitzen und somit am Unternehmen verdienen, agieren als kapitalistische Unternehmer, wenn es um die Produktion für den Profit geht, und nehmen als „Gewerkschafter“ an den Verhandlungen zwischen Arbeitnehmer- und Kapitalseite teil, wenn es um die Festlegung der Löhne der Arbeitnehmer geht. In diesem Zusammenhang war es den Arbeitnehmern zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte erlaubt, ihre eigenen unabhängigen Gewerkschaften zu gründen.

Das Streikrecht, das zum ersten Mal in den Verfassungen von 1975 und 1978 anerkannt wurde, blieb dabei nur auf dem Papier bestehen und wurde gleich zu Beginn des „Reform„-Prozesses, 1982, als Verfassungsrecht abgeschafft.[31] Ab der zweiten Hälfte der 1980er Jahre wurde die Arbeitslosenversicherung als weitere Privatisierungsmaßnahme zugunsten der Kapitalisten geschaffen, und die Last der Entlassungen wurde dem Proletariat aufgebürdet.

Im gleichen Zeitraum begann man in den Staatsbetrieben mit der Einstellung von „befristeten“ Arbeitnehmern, die ältere Arbeitnehmer mit lebenslanger Beschäftigungsgarantie durch junge Vertragsarbeiter ersetzten und damit die Beschäftigungs- und Arbeitsplatzsicherheit untergruben. Bis 1994, also als das neue Gesetzbuch verabschiedet wurden, war der Anteil der Vertragsarbeiter in den staatlichen Unternehmen auf 26,2% gestiegen. Durch das neue Gesetz wurde der neue Vertrag verallgemeinert, so dass nahezu 90% der Arbeitnehmer in allen Unternehmen davon betroffen waren.[32] Die Tatsache, dass die wenigen Tarifverträge, die es gibt, nicht einmal die Punkte erwähnen, die Gegenstand von Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern und vor allem von Lohnverhandlungen sind, oder sich nicht von den Einzelverträgen unterscheiden, ist einer der Beweise dafür, wie formal die Tarifverträge sind. In diesem Zusammenhang haben die Tarifverträge lediglich die gleiche Funktion wie die Einzelverträge erfüllt.

Das am 1. Januar 1995 in Kraft getretene Arbeitsgesetz definierte ein „Arbeitsverhältnis“ auf der Grundlage eines schriftlichen Vertrags zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf eine Art und Weise, durch die Arbeitsmigranten, ländliche Industrie- und Handelsarbeiter, Beamte, Hausangestellte, Berufsschüler, Vertragsarbeiter und Rentner ausgeschlossen wurden. Dies betraf also die meisten der chinesischen Arbeitskräfte, die in den 1990er und 2000er Jahren in den arbeitsintensiven, exportorientierten Sektoren der verarbeitenden Industrie, des Baugewerbes und des Dienstleistungssektors tätig waren. Im Grunde genommen kann nur eine begrenzte Anzahl von Personen in Unternehmen, deren Registrierungsbescheinigung besagt, dass es sich um staatseigene Unternehmen handelt, in diesen Anwendungsbereich fallen. Selbst dann können Streitigkeiten zunächst auf Kongressen von Unternehmensmanagern und Gewerkschaftern, wenn dort keine Einigung erzielt wird, vor der Arbeitsschiedsstelle der lokalen Regierung und wenn dort keine Einigung erzielt wird, vor Gericht gelöst werden.[33] Dieser langwierige und kostspielige Weg ist selbst eine Politik der Abschreckung. Obwohl die KPCh und die chinesische Regierung 2007 mit dem „Arbeitsvertragsgesetz“ und dem neuen Schlichtungsgesetz versuchten, die zunehmenden Unruhen unter den Arbeitnehmern einzudämmen, hat sich am Kern der Sache nichts geändert.[34] Tatsächlich zeigt die Versiebzehnfachung der Zahl der Fälle, die in den zwanzig Jahren von 1996 bis 2016 vor ein Schiedsgericht gebracht wurden (von 48.121 auf 828.410 Fälle), dass eine beträchtliche Zahl von Arbeitnehmern diesen Weg nicht aufgegeben hat.

Wie man sieht, sind die arbeitsrechtlichen Vorschriften auf die Schaffung eines freien Arbeitsmarktes ausgerichtet, der parallel zur Entwicklung und Konsolidierung der freien Marktbeziehungen in der Produktion verläuft. Auf dem Land die ländlichen Kleinbetriebe, die in der Produktion von landwirtschaftlichen Arbeitskräften und in der Leichtindustrie (Konsumgüter) tätig sind; in den Küstengebieten die Sonderwirtschaftszonen, in denen mit ausländischem Kapital finanzierte Fabriken angesiedelt werden, die die überschüssigen ländlichen Arbeitskräfte (Binnenmigranten) anziehen; in der Stadt die Privatisierung/Korporatisierung von Staatsbetrieben, die parallele Ansiedlung inländischer/ausländischer Industrieunternehmen; und die Dienstleistungen, die sich in Verbindung mit all diesen entwickeln. Dies sind die Hauptelemente, aus denen sich das gigantische Proletariat des kapitalistischen China zusammensetzt.

Die Entwicklung der Arbeiterbewegung von den 90er Jahren bis heute

Es spricht gegen die Natur der Sache, dass die Politik der Kommerzialisierung, der Privatisierung und der Öffnung für ausländische Monopole vom chinesischen Proletariat stillschweigend begrüßt würde. Selbst nach chinesischen Statistiken ist die Zahl der Arbeiterwiderstände zwischen 1992 und 2000 um das 9- bis 10-fache gestiegen.[35] Die „Maßnahmen„, die 1999 von der chinesischen Regierung gegen diese wachsende Bewegung ergriffen wurden, sind ein unbestreitbarer Beweis für den Klassencharakter des Staates: Versammlungen ab 200 Personen bedurften der Genehmigung durch die örtlichen Behörden für öffentliche Sicherheit, Versammlungen ab 3000 Personen der Genehmigung durch hochrangige Sicherheitsbehörden.[36]

Die quantitativen und qualitativen Merkmale des Widerstands der Arbeitnehmer, der trotz all dieser Versuche, ihn zu verhindern, anhielt, waren verständlicherweise von den Positionen in den Sektoren geprägt. Im Jahr 2003 waren unter den 58.000 „Massenprotesten„, die von drei Millionen Menschen besucht wurden, 1,66 Millionen entlassene, pensionierte und aktive Arbeitnehmer die größte Gruppe, was 46,9 Prozent der Gesamtteilnehmerzahl in diesem Jahr ausmachte. Nach offiziellen Gewerkschaftsstatistiken stieg die Gesamtzahl der Beschäftigten, die von staatlichen und kollektiven Unternehmen ihren Lohn nicht erhielten, von 2,6 Millionen im Jahr 1993 auf 14 Millionen im Jahr 2000.[37] Diese Situation hat zu den massivsten und relativ gut organisierten Protesten unter den Beschäftigten der Schwerindustrie und der Infrastruktur geführt.

In der Stadt Daqing in der Provinz Heilongjiang beispielsweise starteten im Jahr 2002, als die Arbeiterproteste zunahmen, 50.000 Ölarbeiter einen groß angelegten Protest in der Stadt und versuchten, eine unabhängige Organisation mit dem Namen Daqing Provincial Dismissed Workers‘ Union zu gründen, die ihren Einfluss zunächst auf die Provinzebene ausdehnen und dann die Ölarbeiter in anderen Provinzen zur Organisation von Solidaritätsstreiks und -aktionen ermutigen konnte.[38] Im selben Jahr begannen in der Provinz Liaoning 3.000 Beschäftigte des Ferrolegierungswerks aus Verärgerung über jahrelange erfolglose rechtliche Schritte einen Streik, der sich innerhalb einer Woche auf 20 Fabriken in der Provinz ausweitete und an dem sich 30.000 Beschäftigte beteiligten.[39] Der Streik 2007 im Yantian International Container Terminal in Shenzhen, einem der weltweit verkehrsreichsten Häfen für kapitalintensive Industrien, ist lehrreich für den Kampf um eine gewerkschaftliche Vertretung und Tarifverhandlungen. Dieser Kampf, der von erfahrenen Kranführern geführt wurde, führte zu der wichtigen Errungenschaft eines „jährlichen Tarifverhandlungssystems auf betrieblicher Ebene„. Die Kontinuität dieser Erfahrung, die von vielen Arbeitsforschern als Beispiel für „betriebliche Gewerkschaftsarbeit“ unter chinesischen Bedingungen angesehen wird, zeigt sich darin, dass es den Kranführern 2013 erneut gelang, einen Streik zu führen, diesmal mit der Forderung nach einer Lohnerhöhung.[40]

Unter den Landarbeitern in den Sonderwirtschaftszonen waren Streiks in Unternehmen in ausländischem Besitz von großer Bedeutung. Im Perlflussdelta, einer der südlichen Küstenregionen, kam es im Frühjahr 1993 zu einer spontanen Streikwelle. Die Arbeitsniederlegung – also der faktische Streik – der Beschäftigten einer japanischen Canon-Fabrik, die wegen Lohnerhöhungen unterhalb der Inflationsrate, obligatorischer Überstunden, unmenschlicher Arbeitsbedingungen sowie Nahrungs- und Unterbringungsproblemen die Arbeit niederlegten, breitete sich bald auf andere japanische, taiwanesische und in Hongkong ansässige Fabriken aus und löste zwölf aufeinanderfolgende Streiks aus, von denen die Hälfte die gesamte Belegschaft umfasste.[41] Dank der beschwichtigenden Intervention der Regierung verliefen sie jedoch im Sande, ohne nennenswerte Erfolge zu erzielen. Die Tatsache, dass sich die Arbeitskräfte in diesen Regionen aus ländlichen Migranten zusammensetzen, von denen viele nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeiter aus den Städten sind – wenn auch mit einer genossenschaftlichen Führung – hat ebenfalls eine wichtige Rolle gespielt. In den Jahren 2001-2007, als die chinesische Wirtschaft zweistellige Wachstumsraten erreichte, meldeten die Unternehmen in dieser Region hohe Rentabilitätsraten; die Arbeitskämpfe konzentrierten sich auf die Forderung nach einer Anhebung der Löhne entsprechend den Gewinnraten in den Unternehmen in ausländischem Besitz, in denen relativ hohe Löhne gezahlt wurden. Allerdings handelte es sich bei den von den Frauen im Betrieb geführten Aktionen weiterhin um spontane Aktionen ohne einen organisierten Entscheidungsmechanismus. Im Jahr 2004 waren die Streiks von 16.000 Beschäftigten bei der japanischen Firma Uniden Electronics, 3.000 Beschäftigten bei Haiyan Electronics und 5.000 Beschäftigten im Werk Changying die bemerkenswertesten. Die Streiks wurden häufig von Unterschriftenkampagnen, Straßenblockaden, der Störung von Regierungsbüros oder Angriffen auf Kontrollpunkte begleitet, die zu Rückführungszentren für Arbeitsmigranten geworden waren.[42] In dieser Mobilisierung lässt sich sowohl eine grundlegende Solidarität erkennen, wie z.B. das Sammeln von Geldern für die Arbeitnehmer in einem bestreikten Betrieb oder das Einreichen von Petitionen bei den örtlichen Behörden, als auch ein Streikbrecherverhalten von Facharbeitern, um einen Statusaufstieg zu erreichen. Unerfahrenheit bei der Auswahl von Vertretern und unvorbereitete Streiks sind dabei die größten Schwachpunkte der Bewegung.

Was 2006 in der in dänischem Besitz befindlichen Ole Wolff Electronics-Fabrik in Shenzhen geschah, ist erwähnenswert im Hinblick auf die Notwendigkeit für die Arbeitnehmer, all diese Schwächen zu überwinden und gegen die Kapitalisten sowie die Gewerkschaftsbürokratie zu kämpfen. Infolge eines Streiks gegen Löhne unterhalb des Mindestlohns, Kürzungen und Entlassungen beschlossen die Arbeiter, der Großteil von ihnen Frauen, eine Gewerkschaft auf betrieblicher Ebene zu organisieren und versuchten nach dem gesetzlichen Verfahren eine dem offiziellen Verband angeschlossene Betriebsgewerkschaft zu gründen. Trotz der anfänglichen Anfeindungen seitens des Verbandes gelang es ihnen, eine Betriebsgewerkschaft zu gründen, doch zwei Jahre später entließ das Unternehmen die von den Beschäftigten gewählten Vertrauensleute. Die offizielle Gewerkschaftsführung rührte keinen Finger und besaß die Unverfrorenheit, dem Unternehmen zu gratulieren, weil es im Einklang mit dem Gesetz gehandelt hatte.[43]

Die Auswirkungen des „Arbeitsvertragsgesetzes„, das trotz der Einwände ausländischer Monopole erlassen wurde, auf die Streiks im Jahr 2007 lassen sich erkennen. Der chinesische Monopolist Huawei und der US-amerikanische Einzelhandelsmonopolist Walmart sowie eine Reihe von Unternehmen, die ihrem Beispiel folgten, zwangen die vorhandenen Beschäftigten zur Kündigung oder zur direkten Entlassung, um unbefristete Arbeitsverträge zu vermeiden, die Abfindungen erfordern würden. Das führte zu einer neuen Streikwelle. Die Tatsache, dass die lokale Regierung die von den Arbeitnehmern eingereichten Petitionen für „unangemessen“ erklärte, ganz zu schweigen von Arbeitsniederlegungen, Straßenblockaden oder Demonstrationen, ist ein wichtiger Hinweis auf das Ausmaß der Repression gegen die Arbeitnehmer.[44] Im Zuge der Krise von 2008 meldeten jedoch einige Unternehmen Konkurs an und flohen, während andere einen festen Mindestlohn forderten, „um in China zu bleiben„, und die Regierung ging auf die Forderung der Kapitalisten ein. Diese Entwicklungen führten zu einem Rückgang der Löhne, zu Arbeitslosigkeit und damit zu einer Verschärfung des Wettbewerbs zwischen den Arbeitnehmern. Der Widerstand nach der Krise war defensiv und zielte darauf ab, die ökonomischen Errungenschaften zu schützen.

Das Jahr 2010, ein Jahr relativ organisierter kollektiver Aktionen und Streiks und unorganisierter individueller Opfer, verdient zweifellos einen besonderen Platz in der Geschichte des modernen chinesischen Proletariats und ist voller Lehren. Die Honda-Streiks und die Selbstmorde bei Foxconn sind Symbole für diese beiden Tendenzen.

Die Selbstmorde von 18 Arbeitern zwischen Januar und Dezember in den chinesischen Sonderwirtschaftszonen-Fabriken des taiwanesischen Elektronik- und Computerherstellers Foxconn sind noch frisch in Erinnerung. Diese Arbeiter im Alter zwischen siebzehn und fünfundzwanzig Jahren stammten aus ländlichen Arbeitsmigrantenfamilien.[45] Hinter dieser Kette von Selbstmorden, die als „Suicide-Express“ bekannt ist, verbirgt sich eine speziell konzipierte Arbeitshölle. Diese Hölle, die die Fabrikmanager lieber als „Campus“ bezeichnen, ist wie eine mehrstöckige Stadt aufgebaut, in der die Arbeiter eingesperrt sind: Mehrstöckige Fabriken, Schlafsäle, Lagerhallen sowie zahlreiche kommerzielle und soziale Einrichtungen wie Krankenhäuser, Bibliotheken, Schulen, Geschäfte, Cafés und Restaurants. Oberflächlich betrachtet bietet der Komplex den Arbeitern viele „Möglichkeiten„, darunter auch die Möglichkeit, ihren Lohn innerhalb des Komplexes auszugeben, aber nach Aussage eines der vier Arbeiter, die den Selbstmord überlebt haben, beginnt das tägliche Leben um halb sieben, die Arbeiter nehmen um 7.20 Uhr an einer zwanzigminütigen Morgenbesprechung teil und die Produktion beginnt um 7.40 Uhr. Das Mittagessen wird um 11.00 Uhr eingenommen, wobei die Arbeiter nicht einmal Zeit haben, miteinander zu reden, um den Anschluss an die Produktionslinie zu finden, und Überstunden bedeuten oft, dass das Abendessen übersprungen wird und die Zwölfstundenschicht endet um 19.40 Uhr. Das Band steht in 24 Stunden kein einziges Mal still. Die Produktionsfehler der Arbeiter werden sofort auf digitalen Bildschirmen angezeigt und die Arbeiter werden mit Lohnabzügen und Beschimpfungen durch den Vorgesetzten konfrontiert. Der Fließbandarbeiter, der die zeitliche und räumliche Enge, die durch den Druck der Just-in-Time-Produktion entsteht, bis auf die Knochen spürt, kann sich von dieser Last im olympischen Schwimmbad des Komplexes nicht befreien. Die Schlafsäle sind wie eine Erweiterung der Fabriken; sie sind komprimiert, um die Hochgeschwindigkeitsproduktion rund um die Uhr zu ermöglichen. Pro Person, ob verheiratet oder ledig, wird eine Koje zugewiesen. Es gibt keinen gemeinschaftlichen Wohnraum, in dem sich der Arbeiter aufhalten könnte; der „private Raum“ besteht aus einem Bett hinter einem Vorhang, den der Arbeiter selbst gefertigt hat. Die Mitbewohner kommen aus verschiedenen Teilen Chinas und sprechen unterschiedliche Dialekte.[46]

Auf dem Friedhof der im wahrsten Sinne des Wortes „toten Arbeit“ bereichern sich nicht nur Foxconn, sondern auch seine Zulieferer Amazon, BlackBerry, Cisco, Dell, Dell, Fujitsu, GE, HP, IBM, Intel, LG, Microsoft, Nintendo, Panasonic, Philips, Samsung, Sony, Toshiba und die Joint-Venture-Konzerne des chinesischen Staates Lenovo, Huawei und Xiaomi, die zu internationalen Monopolen geworden sind. Angesichts dieser extremen Ausbeutung haben die eine Million bei Foxconn beschäftigten Arbeitnehmer in der Regel keine Möglichkeit, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Bei der Gewerkschaftsvertreterin handelt es sich um eine Frau, die drei Jahre vor den Selbstmorden vom Unternehmensgründer Terry Gou ernannt wurde, der auch ein Manager des Unternehmens war.[47]

Der Streik der neuen Generation von Arbeitern aus Arbeitsmigrantenfamilien im Nanhai-Honda-Werk im Birnenflussdelta im Frühjahr desselben Jahres, der sich über das ganze Land ausbreiten sollte, ist ein Präzedenzfall für das Gefühl der Hilflosigkeit und Desorganisation angesichts der sklavenartigen Arbeitsbedingungen. Trotz der Krise von 2008 hat die chinesische Automobilindustrie einen neuen Rekord aufgestellt, indem sie ihren Absatz um 46 Prozent steigerte. Im Gegensatz dazu sind die Löhne nicht wesentlich gestiegen. Die 1.800 Arbeiter, von denen 80 Prozent Berufsschüler und der Rest Festangestellte waren, haben ihre Forderungen in 108 Artikeln formuliert. Lohnerhöhungen und das Recht, unabhängige Gewerkschaften zu gründen, sind jedoch die beiden Hauptforderungen, die für alle Autoarbeiter gelten.[48] Die Erfahrung dieses Streiks ist auch lehrreich in Bezug auf den Einsatz von lokalen Regierungsbeamten sowie von Personen aus verschiedenen Bereichen der Arbeiterklasse als Streikbrecher. Die Lehrer in den Berufsschulen überzeugten einige der Arbeiter in Ausbildung, in die Produktion zurückzukehren. Die erfahreneren Arbeiterführer leisteten jedoch weiterhin Widerstand, der jedoch von zweihundert Personen, die unbekannte „Gewerkschaftsausweise“ bei sich trugen, sowie von Vollzugsbeamten angegriffen wurde. Bei diesen neuen Streikbrechern handelte es sich um Landarbeiter aus den umliegenden Dörfern. Entgegen dieses Angriffs wurde die Einheit der Arbeiter wiederhergestellt und der Streik in der gesamten Fabrik fortgesetzt. Obwohl sie die offiziellen Gewerkschaftsfunktionäre zur Herausgabe eines Entschuldigungsschreibens zwangen, wandten sich die Arbeiter, die aus vielen Erfahrungen gelernt hatten, dass sie der Gewerkschaftsbürokratie nicht trauen konnten, an ihre Klassenbrüder und -schwestern und riefen im ganzen Land zur Solidarität auf. Daraufhin erhielten sie von Hunderten von Betrieben Unterstützung. Die streikenden Arbeiter gewannen an Stärke, wählten ihre eigenen Vertreter im Unternehmen und konnten durch De-facto-Tarifverhandlungen eine beträchtliche Lohnerhöhung durchsetzen (32,4 Prozent für Festangestellte und 70 Prozent für studentische Mitarbeiter). Im Einklang mit der Politik der chinesischen Regierung hat Honda jedoch keine Kompromisse bei der Anerkennung der Betriebsgewerkschaft gemacht, die sich aus selbstgewählten Arbeitnehmervertretern zusammensetzt. Stattdessen wurde ein Ausschuss der offiziellen Gewerkschaft eingesetzt. Dies bedeutete jedoch nicht das Ende des unabhängigen Gewerkschaftskampfes. 2013 streikten die Honda-Beschäftigten trotz des offiziellen Gewerkschaftsausschusses und allen Drucks erneut für eine Lohnerhöhung und erzielten einen Teilerfolg.[49]

Eine weitere Bedeutung dieses Streiks der Arbeiter in Nanhai besteht darin, dass er sich auf andere Honda-Fabriken sowie auf die Zuliefererbetriebe von Automobilgiganten wie Toyota, Ford und BMW ausbreitete. Aber die Streikwelle breitete sich auch über den Automobilsektor hinaus aus und löste Streiks in der Elektronik-, Maschinen-, Textil- und Keramikbranche aus, die von den USA, Japan, Taiwan, Südkorea und dem nationalen Kapital finanziert werden. Obwohl es keine einheitlichen Statistiken über das quantitative Ausmaß der Streikwelle gibt, gehen Schätzungen davon aus, dass es im Laufe des Jahres zwischen 200 und 1000 Streiks gab. 95 Prozent der Streiks fanden in den verarbeitenden Sektoren statt. Angesichts dieses Willens von Millionen von Arbeitnehmern sah sich der offizielle Gewerkschaftsbund gezwungen, Erklärungen zur Stärkung der gewerkschaftlichen Vertretung in den Unternehmen abzugeben, und in Dutzenden von Provinzen waren die Ausschüsse der KPCh und die lokalen Regierungen gezwungen, Erklärungen zur Förderung von Tarifverhandlungen oder, wie sie es nennen, „kollektiven Konsultationen“ zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern abzugeben. Obwohl eine Überarbeitung der Verordnung über Tarifverhandlungen auf der Tagesordnung stand, setzte sich das internationale Monopolkapital, das über die Handelskammern der USA und Hongkongs seinen Einspruch erhoben hatte, durch und die Reform wurde ausgesetzt.[50]

Sicher ist jedoch, dass im 21. Jahrhundert die unabhängige gewerkschaftliche Organisation und das Recht auf Tarifverhandlungen/Verträge unwiderruflich zum zentralen Thema des Klassenkampfes geworden sind. Einige Forscher interpretieren diesen Wandel als Übergang von Tarifverhandlungen als Formalität der offiziellen Gewerkschaft zum Stadium „Tarifverhandlungen durch Protest„, das mit den Streiks von 2010 seinen Höhepunkt erreichte, sich aber mit der Xi-Ära zu „parteistaatlich geführten Tarifverhandlungen“ entwickelt, die nicht von den Arbeitnehmern geführt werden.[51] Es ist jedoch klar, dass sie der spontanen Entwicklung von Streiks und Aktionen, die sie als „Aufstände“ bezeichnen, zu viel Wert beimessen. Die Tatsache, dass es dem chinesischen Proletariat gelungen ist, sich nicht wie in den 90er Jahren durch spontane, ungeplante und unorganisierte Reaktionen zu mobilisieren, sondern durch kumulative Diskussionen auf betrieblicher und sektoraler Ebene, deutet angesichts der begrenzten Möglichkeiten auf einen Fortschritt im Klassenbewusstsein hin. Natürlich ist es nicht unerwartet, dass Xi und die nationale und internationale Kapitalistenklasse, die er vertritt, ihr Bestes tun werden, um diesen Geist unter Kontrolle zu halten.

Darüber hinaus ist die Xi-Ära eine Zeit der relativen Schwächung der Spaltungsmöglichkeiten zwischen Arbeitern auf dem Land sowie Niedriglöhnern auf der einen Seite, die sich bisher auf Lohnkampf konzentriert haben, und städtischen und fest angestellten Arbeitern, die sich auf den Schutz ihrer Sicherheitsansprüche aus der Zeit vor der Privatisierung konzentriert haben auf der anderen Seite. Die Generation der ländlichen Migranten, die in den letzten Jahrzehnten massenhaft in Industrie- und Handelsunternehmen eingetreten sind, ist nun reif genug, um sich auf Rentenansprüche zu konzentrieren. Der Yue-Yuen-Streik von 2014 ist einer der Wendepunkte in diesem Zusammenhang. Das in taiwanesischem Besitz befindliche Unternehmen, das Monopole wie Nike, Adidas, Reebok, Puma, Asics, Under Armour, New Balance und Timberland beliefert, ist mit einem Anteil von 20 Prozent am Weltmarkt der größte Schuhhersteller der Branche. Diese Größe ist jedoch nicht frei von der Bedrohung durch den Wettbewerb. Während das Unternehmen in den 2000er Jahren 100.000 Arbeitnehmer beschäftigte, wurden vor 2014 im Rahmen einer fast beispiellosen Entlassungswelle 40.000 Arbeitnehmer entlassen, als 2014 aufgrund des Kostendrucks schließlich der Streik ausbrach. Auch wurden die Löhne auf die Hälfte des staatlichen Durchschnitts gesenkt. Durch die Erfahrungen von einzelnen Arbeitsniederlegungen in diesem Zeitraum konnte 2014 mit 43.000 der 60.000 ein organisierter Streik ausgeführt werden. Obwohl das Unternehmen den Arbeitnehmern, die feststellten, dass ihre Rentenbeiträge nicht in voller Höhe gezahlt worden waren, teilweise Zugeständnisse machte, bestanden die fortgeschrittenen Arbeitnehmer auf einem neuen Tarifvertrag und selbstgewählte Gewerkschaftsausschüsse auf Unternehmensebene, wie dies bei allen größeren Streiks in diesem Zeitraum der Fall war. Die Spaltung, die durch Teilerfolge wie Lohnverbesserungen und soziale Rechte wie Kinderbetreuung, Gesundheit, Bildung usw. entstand, schwächte jedoch den Willen, den Kampf einen Schritt weiter zu führen. Abgesehen davon gilt der Yue-Yuen-Streik als der erste Fall in der Geschichte des Kampfes des chinesischen Proletariats, bei dem es den Arbeitsmigranten um Renten- und Sozialversicherungszahlungen ging, und als die größte kollektive Aktion in einem einzigen Unternehmen.[52]

Der relative Rückzug der Arbeiterklasse kann auch darauf zurückgeführt werden, dass sich andere Länder mit niedrigeren Löhnen (wie Indien) dem Wettbewerb um ausländisches Kapital angeschlossen haben.[53]Gleichzeitig hat sich Chinas so genanntes „Wirtschaftswunder“ verlangsamt. Geplagt von Fabrikschließungen und Produktionskürzungen hat die Xi-Regierung eine Reihe von Personalfreisetzungen geplant, darunter die Ankündigung, dass 1,8 Millionen Stahl- und Kohlearbeiter entlassen werden sollen, was 15 Prozent der Beschäftigung entspricht. Im Jahr 2016 reagierte das chinesische Proletariat sofort mit einer neuen Streikwelle, angeführt von Bergarbeitern und Eisen- und Stahlarbeitern. Diese Streiks, die bald niedergeschlagen wurden, läuteten auch eine mehrjährige Stagnation in der Arbeiterbewegung ein.

Die zweimonatigen Proteste bei Jasic 2018 konnten dies dann ein Stück weit aufbrechen. Die 1.000 Beschäftigten von Jasic Electronics, einem Schweißmaschinenhersteller in Shenzhen, sind mit einer Reihe typischer Probleme konfrontiert, darunter die Unterbezahlung von Versicherungsprämien und Wohngeld, willkürliche Lohnkürzungen sowie verbale und körperliche Übergriffe durch die Geschäftsführung. Versuche von fortgeschrittenen Arbeitern, sich auf betrieblicher Ebene gewerkschaftlich zu organisieren, führten zur Einrichtung eines Marionettenausschusses auf betrieblicher Ebene. Als es zu Konflikten kam, wurden führende Arbeiter verhaftet. Die Jasic-Aktionen begannen mit unorganisierten und spontanen Reden von Arbeitern vor der Tür der Polizeistation, auf der ihre Freunde inhaftiert waren, was eher an zivilen Ungehorsam als an eine Massendemonstration erinnerte, und entwickelten sich allmählich zu Märschen, bei denen die Arbeiter mit Transparenten mit der Aufschrift „Es ist kein Verbrechen, eine Gewerkschaft zu gründen“ marschierten. Diese Proteste, die mit Gewalt von Seiten der Ordnungskräfte beantwortet wurden, wurden mit der wachsenden Unterstützung von Studenten, die sich in marxistischen Lesegruppen an den Universitäten unter dem Motto „Die Studenten von heute sind die Arbeiter von morgen“ organisierten, schnell zu einer nationalen Angelegenheit. Obwohl das Ausmaß dieser Entwicklung nicht vergleichbar ist, ist sie als eines der ersten Beispiele für die Solidarität zwischen Arbeitern, Studenten und Intellektuellen in der Geschichte des Landes seit den Tinanmen-Zwischenfällen von 1989 bemerkenswert. Der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) und die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) waren mit ihren Aufrufen an die Regierung ebenfalls an diesem Prozess beteiligt, und in Europa und den USA wurden Solidaritätsaktionen organisiert. Eine weitere Anekdote am Rande ist, dass linke Intellektuelle wie Noam Chomsky und Slavoj Žižek beschlossen, offizielle Marxismus-Konferenzen in China zu boykottieren.[54] [55]Unter Ausnutzung dieser unterdrückten Proteste leitete die Xi-Regierung eine Hexenjagd gegen fortschrittliche Arbeiter, Universitätsstudenten und Mitglieder gewerkschaftsnaher NGOs ein, die nichts mit dem Vorfall zu tun hatten.

Die Entschlüsselung des „Rätsels“

Die Jasic-Proteste haben sich nicht zu einer Welle, einer Bewegung, entwickelt oder diese ausgelöst. Vielmehr hat die unmittelbar danach ausgebrochene Pandemie eine solche Bewegung in China, wie auch in vielen anderen Teilen der Welt, verzögert. Nach den groß angelegten Arbeitskampfmaßnahmen in der Foxconn-Fabrik in Zhengzhou im Jahr 2022 gab es im vergangenen Jahr zum ersten Mal seit 2016 wieder eine Streikwelle. Nach Angaben des China Labour Bulletin, einer in Hongkong ansässigen Bürgerinitiative, hat die Zahl der Fabrikstreiks exponentiell zugenommen.[56] Die Auswirkungen der Demontage und Verlagerung von Fabriken sind unbestreitbar. Auf der Suche nach Möglichkeiten, Arbeitnehmer ohne Abfindung zu entlassen, setzen die Kapitalisten Löhne durch, die mancherorts 80-90 Prozent des Mindestlohns betragen. Andererseits ist festzustellen, dass neben viele Taktiken wie Arbeitsniederlegungen, Demonstrationen, Sit-ins, Blockaden vor Fabrikeingängen, Beschlagnahme von Maschinen ebenfalls weiterhin Suizidversuche fortgesetzt werden.

Es ist unbestritten, dass das chinesische Proletariat seit seiner Gründung eine enorme Menge an Kämpfen gegen die nationalen und internationalen Kapitalisten angehäuft hat. Bislang konnten die Kämpfe, die in der einen oder anderen Form auf betrieblicher Ebene weitergeführt werden, zu Wellen werden, die alle sechs oder sieben Jahre ausbrechen, aber es wurde keine dauerhafte Organisation auf regionaler und nationaler Ebene erreicht. Die beiden größten Hindernisse dafür sind zweifellos das Scheitern einer eigenständigen politischen Organisation gegen die Bourgeoisie und die Existenz einer Gewerkschaftsbürokratie, die in einem Maße in den kapitalistischen Staat integriert ist, wie es in anderen Ländern selten der Fall ist. Die ganze Erfahrung hat gezeigt, dass aus der Sicht des chinesischen Proletariats die chinesische Wirtschaft, die Besonderheiten des chinesischen Staates, kein „Rätsel“ sind. Es spürt die extreme Ausbeutung, die hinter der Maske des „Staatseigentums“ und/oder des „öffentlichen Eigentums“ zu verbergen versucht wird, bis ins Mark.

Artikel aus der Teori ve Eylem (Türkei), Ausgabe 65


[1] Walder, A. G. (1984) „Remaking of the Chinese Working Class, 1949-1981“, Modern China, Bd. 10, Nr. 1, S. 3.

[2] China erlebte einen Bürgerkrieg zwischen den von der KPCh geführten Kräften und der Kuomintang-Regierung (KMT) zwischen 1927 und 1937, die japanische Besatzung zwischen 1937 und 1945, in der die KPCh und die KMT als Einheitsfront auftraten, und dann den Bürgerkrieg zwischen der KPCh und der KMT.

[3] Das Staatliche Statistische Amt (1974) Zehn große Jahre: Statistics of the Economic and Cultural Achievements of the People’s Republic of China, Occasional Paper, No: 5, S. 5

[4] Das Staatliche Statistische Amt, Zehn große Jahre, S. 10.

[5] Nach Statistiken aus den USA, die die Zahl der Unternehmen nach der Eigentumsverteilung enthalten, stieg die Zahl der staatlichen Unternehmen während des 1. FJP-Zeitraums von 10.671 auf 17.104 und die Zahl der staatlich-privaten Unternehmen von 3.139 auf 32.166 im Jahr 1955-6, also um das Zehnfache. Siehe Walder, Alter, S. 7.

[6] Zu Diskussionen zwischen Arbeitern, die ihre Ansichten über die All-China Workers‘ Trade Union Federation zum Ausdruck brachten, und dem damaligen Präsidenten der Föderation siehe Lisan, L. (2022) [1951] „Li Lisan on the Relationship between Management and Unions“, in Proletarian China, Ivan Franceschini und Christian Sorace (Hrsg.), Verso, London & Brooklyn, S. 216-220;
Sheehan, J. (1998) Chinese Workers: A New History, London, Routledge, S. 13.

[7] In diesem Zeitraum wurden 113 Projekte mit sowjetischer Hilfe realisiert, während über 40 Projekte von der Deutschen Demokratischen Republik, der Tschechoslowakei, Polen, Ungarn, Rumänien und Bulgarien unterstützt wurden. In der ersten Dekade des FJP entfielen nach offiziellen Angaben 43,8 Prozent der staatlichen Investitionen in den Kapitalbau auf die Schwerindustrie, 8,6 Prozent auf die Land- und Forstwirtschaft und den Gewässerschutz, 15,3 Prozent auf Kommunikation, Verkehr, Post und Telekommunikation, 9 Prozent auf Kultur, Bildung, Gesundheitswesen und städtische Versorgungsbetriebe und 16 Prozent auf den sonstigen Bau. Das Staatliche Statistische Amt, Zehn große Jahre, S. 36.

[8] Das Staatliche Statistische Amt, Zehn große Jahre, S. 35, 36-37.

[9] Das Staatliche Statistische Amt, Zehn große Jahre, S. 127-128.

[10] „Nonagricultural Employment in Mainland China, 1949-1958″ (Nichtlandwirtschaftliche Beschäftigung in Festlandchina, 1949-1958), erstellt von John Phillip Emerson als Teil der Reihe “ International Population Statistics Reports“ des US-Handelsministeriums und veröffentlicht 1965 [Non-agricultural Employment in Continental China, 1949-1958], zitiert in Walder, Alter, S. 5-9.

[11] Das Staatliche Statistische Amt, Zehn große Jahre, S. 127-128.

[12] Walder, Alter, S. 10, 14.

[13] Das Staatliche Statistische Amt, Zehn große Jahre, S. 127-128.

[14] Nach Maos Auffassung ist die Landwirtschaft die wirtschaftliche Grundlage, auf der sich die Leicht- und später die Schwerindustrie entwickeln werden. Mao, Z. (1957)[1993] „Über den richtigen Umgang mit Widersprüchen im Volk“, Ausgewählte Werke: Band 5, Source Publications, Istanbul, S. 455.

[15] Hart-Landsherg, M. und P. Hurkett (2006) China and Socialism, trans. E. Balıkçı, Kalkedon Publishing, Istanbul, S. 59.

[16] Während 1979 noch 97 % der ländlichen Arbeitskräfte in der Landwirtschaft beschäftigt waren, sank dieser Anteil bis 1991 auf weniger als 80 %. Es ist natürlich nicht verwunderlich, dass trotz dieses Rückgangs die Beschäftigung in der Landwirtschaft weiterhin den größten Teil der ländlichen Arbeitskräfte in China ausmacht. Die Frage, die den Rahmen dieses Artikels sprengen würde, ist, wie hoch der Anteil der Lohnarbeiter an dieser Beschäftigung ist und wie hoch der Anteil der Klein- und Großgrundbesitzer ist, kurz gesagt, wie die Produktionsverhältnisse in der Landwirtschaft aussehen, die eindeutig nicht sozialistisch sind. Die Tatsache, dass der Anteil der Löhne am Pro-Kopf-Nettoeinkommen der Landbevölkerung von 18,1 Prozent im Jahr 1985 auf 36,1 Prozent im Jahr 2005 gestiegen ist, gibt Hinweise darauf, dass parallel zur Expansion des Kapitalismus eine Proletarisierung der Landwirtschaft und der Industrie stattfindet. (Gökten, Alter, S. 223)

[17] Nach dem Hukou-System, das in den 1950er Jahren eingeführt wurde, kann eine Person außerhalb der Siedlung, in der sie registriert ist, nicht legal arbeiten und hat keinen Anspruch auf Bildung, Gesundheit und andere soziale Rechte.

[18] Gökten, Alter, S. 207.

[19] Hart-Landsherg und Hurkett, Alter, S. 60.

[20] Gökten, Alter, S. 208, 221.

[21] Dieses System wurde fortgesetzt, bis das Haushaltsregistrierungssystem (hukou) gelockert und schließlich abgeschafft wurde. Siu, K. (2018) „From Dormitory System to Conciliatory Despotism: Changing Labour Regimes in Chinese Factories“, in Gilded Age, Ivan Franceschini and Nicholas Loubere (ed), ANU Press, S. 49.

[22] Chan, A. (2022) „Voices from the Zhili Fire: The Tragedy of a Toy Factory and the Conditions It Exposed“, in Proletarian China, S. 505-512.

[23] Gökten, Alter, S. 231.

[24] Gökten, Alter, S. 238.

[25] Zhang, Y. (2022) „Arbeiter auf dem Platz des Himmlischen Friedens“, in Proletarisches China, S. 498.

[26] Gökten, Alter, S. 244-246.

[27] Gökten, Alter, S. 251

[28] Hurst, W. (2022) „The Fifteenth Party Congress and Mass Layoffs in State-Owned Enterprises“ (Der fünfzehnte Parteitag und Massenentlassungen in staatlichen Unternehmen), in Proletarian China, S. 547.

[29] Gökten, Alter, S. 301.

[30] Chan, J. (2021), „Worker Organising in China: Challenges and Opportunities“, in WorkersInquiry and Global Class Struggle: Strategies, Tactics, Objectives, Robert Ovetz (Hrsg.), Pluto Press, London, S. 200.

[31] Lin, K. (2022), „The Blocked Path: Political Labour Organising in the Aftermath of the Tiananmen“, in Proletarian China, S. 539.

[32] Gökten, Alter, S. 308.

[33] Biddulph, S. (2022) „One Law to Rule Them All: The First Labour Law of the People’s Republic of China“, in Proletarian China, S. 513-524.

[34] Eine grobe, aber realistische Berechnung deutet darauf hin, dass diese Zahl von Akten mehr als 1 Million Arbeitnehmer abdeckt. Im Jahr 1996 lag diese Zahl nicht über 50.000 Arbeitnehmern (Chan, Alter, S. 203).

[35] Hart-Landsherg und Hurkett, China und der Sozialismus, S. 120-21.

[36] Hart-Landsherg und Hurkett, Alter, S. 125.

[37] Lee, C. K. (2022) „The Liaoyang Strike and the Unmaking of Mao’s Working Class in China’s Rustbelt“, in Proletarian China, S. 562.

[38] Landsherg und Hurkett, Alter, S. 121-122

[39] Lee, Alter, S. 561; Landsherg und Hurkett, Alter, S. 122.

[40] Pringle, T. und Q. Meng (2018) „Taming Labour: Workers‘ Struggles, Workplace Unionism, and Collective Bargaining on a Chinese Waterfront“, ILR Review, 71(5), 1053-77.

[41] Ren, China im Streik, S. 25.

[42] Ren, Alter, S. 30.

[43] Yu, A. L. (2009) „China: End of a Model…Or the Birth of a New One?“, Neue Politik, Band 12, Ausgabe 3, https://newpol.org/issue_post/china-end-modelor-birth-new-one/

[44] Ren, Alter, S. 34-36.

[45] Chan, J. (2022), „Der Foxconn-Selbstmord-Express“, in Proletarian China, S. 627.

[46] Chan, J., Selden, M. und Pun, Ngai (2020), Dyting for an iPhone (E-Book), Haymarket Books, Chicago.

[47] Chan, Alter, S. 205.

[48] Hui, E. S. (2022) „The Nanhai Honda Strike“ in Proletarian China, S. 617-618.

[49] Hui, Alter, S. 619-621.

[50] Hui, Alter, S. 623.

[51] Chan, C. K. und E. S. Hui (2014) „The Development of Collective Bargaining in China: From ‚Collective Bargaining by Riot‘ to ‚Party State-Led Wage Bargaining’“, The China Quarterly, Vol: 217, pp. 221-42.

[52] Blecher, M. (2022) „Der Yue-Yuen-Streik“, in Proletarian China, S. 664-673.

[53] Ein entscheidendes Beispiel ist die Verlagerung der Lieferketten von Apple von China nach Indien.

[54] Elfstrom, M. (2022) „The Jasic Struggle“, in Proletarian China, S. 692-700.

[55] Nach der UN-Frauenkonferenz in Peking im Jahr 1995 wurden viele NGO für arbeitende Frauen gegründet. Seit dem Beitritt Chinas zur WTO im Jahr 2001 bis 2012 ist die Zahl der Arbeits-NGOs explosionsartig angestiegen. Die wichtigsten dieser Organisationen sind jedoch diejenigen, die ihren Sitz in Hongkong haben oder über Hongkong finanziert werden, die den Schwerpunkt auf juristischen Aktivismus legen und eine Konfrontation mit der chinesischen Regierung meist vermeiden. Es ist natürlich nicht zu leugnen, dass sie von Arbeitnehmern selbst gegründet wurden, um diese Zeit des Wohlstands zu nutzen, in der die offiziellen Gewerkschaften blockiert waren. Inwieweit sie sich jedoch auf die Arbeiterklasse stützen und effektiv sind, muss weiter untersucht werden. Seit 2012 geht die Xi-Regierung hart gegen alle Formen von NGOs vor. Nach dem Verlauf der Massenaktionen zu urteilen, geht der Haupttrend innerhalb der Klasse nach wie vor in Richtung der Gründung unabhängiger Gewerkschaften auf betrieblicher Ebene.

[56] Im Jahr 2021 gab es 66 Fabrikstreiks, im Jahr 2022 37 und im Jahr 2023 434. Siehe https://labourreview.org/strike-wave-china/