Deutschland – Das Ende eines Märchens

Franzosen und Russen gehört das Land,

Das Meer gehört den Briten,

Wir aber besitzen im Luftreich des Traums

Die Herrschaft unbestritten.

Hier üben wir die Hegemonie, 

Hier sind wir unzerstückelt;

Die anderen Völker haben sich

Auf platter Erde entwickelt.1

In ihrem gemeinsamen Werk „Die deutsche Ideologie“ zitieren Marx und Engels diese ironischen Zeilen aus dem Gedicht „Deutschland, ein Wintermärchen“ des revolutionären Dichters Heinrich Heine, wenn sie darauf hinweisen, dass „dem vorgeblichen Universalismus und Kosmopolitismus der Deutschen“ eine „borniert-nationale Anschauungsweise“ zugrunde liegt. Mit „gewaltigem Selbstgefühl“ würden die Deutschen „dieses Luftreich des Traums, das Reich des ‚Wesens des Menschen‘“, andern Völkern „als die Vollendung und den Zweck der ganzen Weltgeschichte“ entgegenhalten. „Auf jedem Felde betrachten sie ihre Träumereien als schließliches Endurteil über die Taten der anderen Nationen“. Ja, „die nationale Borniertheit“ ist „überall widerlich“, aber in Deutschland wird sie „ekelhaft, weil sie hier mit der Illusion, über die Nationalität und über alle wirklichen Interessen erhaben zu sein, denjenigen Nationalitäten entgegengehalten wird, die ihre nationale Borniertheit und ihr Beruhen auf wirklichen Interessen offen eingestehen.“2

Diese Zeilen Heines kommen einem unweigerlich in den Sinn, wenn man sich die heutige allgemeine Stimmung in Deutschland ansieht. Dabei stellen sich folgende Fragen: Zwingen die Ereignisse und Entwicklungen in der Welt der letzten Jahre Deutschland dazu, vom „Luftreich des Traums“ wieder auf die Erde hinabzusteigen, erinnern sie es an die eigene schon vergessene Realität? Diese Fragen mögen denjenigen, die Deutschland nicht aufmerksam verfolgen, seltsam erscheinen. Tatsache ist jedoch, dass Deutschland seit geraumer Zeit eine schwierige Phase durchläuft. Sie wird nicht mehr mit Ordnung, Stabilität und Vorhersehbarkeit gekennzeichnet, sondern durch Ungewissheit, gesellschaftliche Unzufriedenheit und Angst vor der Zukunft. Die Frage „Was ist los mit Deutschland?“ wird nicht nur in der deutschen Gesellschaft gestellt, sondern sie wurde auch bei dem diesjährigen Weltwirtschaftsforum in Davos thematisiert, auf dem die „Geopolitik“ im Mittelpunkt stand. In ihrem Artikel „Sehnsucht nach Klarheit im Chaos“ stellt Lisa Nienhaus bezüglich der Art und Weise wie Deutschland in Davos thematisiert wurde fest: „Es ist etwas ins Rutschen gekommen. Derzeit fehlt offenbar das Vertrauen, national wie international, dass Deutschlands Regierung das Geschäftsmodell des eigenen Landes im Griff hat oder zumindest einen klaren Plan für die Zukunft verfolgt.“3

In diesen Tagen wird Deutschland wieder einmal als „der kranke Mann Europas“ bezeichnet. Tatsächlich ist das Wirtschaftswachstum seit geraumer Zeit gering und liegt im Bereich von 1-2 Prozent. Während andere europäische Länder im Jahr 2023 wuchsen, schrumpfte das deutsche BIP um 0,3 %. Mit den Daten vom Dezember 2023 ist die Industrieproduktion in Deutschland in 7 aufeinanderfolgenden Monaten zurückgegangen. Und es scheint, dass es schwierig sein wird, ein Wachstum von 1 % zu erreichen. So prognostiziert der Entwurf des Jahresberichts des Wirtschaftsministeriums, der der Presse zugespielt wurde, dass die Wirtschaft im besten Fall bis 2028 um durchschnittlich 0,6-0,8 Prozent pro Jahr wachsen wird.4

Nicht nur der Krieg in der Ukraine, sondern auch das Ende des fast vierzigjährigen übermäßigen Wirtschaftswachstums in China trifft Deutschland am härtesten. Auch die mit der Pandemie ausgebrochene Inflation, die die Nullzinspolitik unhaltbar gemacht und zur weltweiten Zinsanstieg geführt hat, dämpfen die Nachfrage nach deutschen Waren, da dieser Umstand eine Verringerung von Investitionen in vielen Ländern zur Folge hatte. In der Zwischenzeit gerät Deutschland in einigen Sektoren wie der Automobilindustrie, dem Maschinenbau und der Chemie, die den Kern seiner Industrie bilden und in denen es seit langem eine Überlegenheit hatte, immer weiter ins Hintertreffen. Während der Marktanteil im Ausland sinkt, wächst die Unzufriedenheit im Inland. Die Reallöhne sinken seit Jahren, und auch die in einigen Sektoren gezahlte „Inflationsausgleichsprämie“ hat an dieser Situation nichts Wesentliches geändert. Trotz aller Kompromissbereitschaft der Gewerkschaftsbürokratie gibt es unter den Arbeitern und Werktätigen einen großen Wunsch, die Lohneinbußen auszugleichen, wie die Arbeitsniederlegungen, Streiks und Protestkundgebungen während der letzten Tarifverhandlungen gezeigt haben. Auf der anderen Seite revoltieren die Bauern, und die Probleme in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Wohnen und Lebensunterhalt nehmen zu. Die technologische und ökologische „Transformation“ des Landes gerät trotz der großen Versprechen der Scholz-Regierung ins Stocken, man verliert im kritischen Moment an Tempo. Der Rückstand bei der Digitalisierung verlangsamt u.a. den Abbau der hohen bürokratischen Hürden. Das demografische Problem, d.h. der Mangel an Arbeitskräften, die diejenigen ersetzen, die in den Ruhestand gehen, wird immer größer.5 Die etablierten bürgerlichen Parteien verlieren an Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung, und die rechtsextreme AfD, in der sich Faschisten eingenistet haben, heimst mit dem Titel die einzige Oppositionspartei zu sein die wachsende gesellschaftliche Unzufriedenheit ein.

Kurzum, die aktuelle Situation in Deutschland zeigt, dass sich gravierende Veränderungen vollziehen und noch weiter vollziehen werden. Obwohl die Covid-Pandemie und der Krieg in der Ukraine neue Dilemmata und Herausforderungen für das wirtschaftliche und soziale Leben in Deutschland aufgeworfen haben, sind die Gründe, die die Zukunft des deutschen Modells gefährden, weder damit begrenzt noch von früheren Entwicklungen losgelöst. In diesem Artikel soll analysiert werden, ob ein neuer Wendepunkt in der Entwicklung Deutschlands im Allgemeinen und des deutschen Imperialismus im Besonderen erreicht wurde. Um zu verstehen, was geschieht und wie es wahrgenommen wird, ist es jedoch sinnvoll, die Besonderheiten der vorangegangenen Periode zu betrachten. Es liegt auf der Hand, dass das Verstehen des Unterschieds die Vorgeschichte dessen zu wissen bedingt, an dem sich dieser manifestiert.

Im Luftreich des Traums

Man kann sagen, dass nach der Zerschlagung des Hitlerfaschismus durch die Sowjetunion (UdSSR) bzw. die alliierten Mächte, in Westdeutschland allmählich ein neues „Luftreich des Traums“ entstand, das diesmal auf einem ganz anderen Boden abhob. Eigentlich war das Bedürfnis des deutschen Geists nach neuen Träumen nie so legitim wie damals, denn das Land war am Boden, der Faschismus war mitsamt seinen suggerierten Fantasien zusammengebrochen, und überall herrschte materielle und moralische Not. Interessanterweise war das „Luftreich des Traums“, das die Deutschen nun als ihr Eigentum beanspruchen konnten, jedoch nicht Deutsch, sondern eine Schöpfung des amerikanischen Geistes. Zuvor war das Zentrum des Weltkapitalismus Europa gewesen, und Deutschland war das Land in der Mitte dieses Kontinents. Mit dem Wiederaufbau hörte es jedoch auf, das Zentrum zu sein, und wurde zu einem Frontland in der Strategie des westlichen Imperialismus, um die UdSSR zu erwürgen. In dieser Hinsicht kann Westdeutschland als eine besondere Kreation der Strategie des US-Imperialismus im Kalten Krieg betrachtet werden.

Als Führer der „freien Welt“ mussten die USA der politischen und wirtschaftlichen Attraktivität dieses Frontlandes, des „Vorzeigelandes“ im Kampf gegen den Kommunismus, besondere Aufmerksamkeit schenken. Die folgenden drei konstitutiven Bestandteile reichen aus, um die Individualität dieser Kreation zu verdeutlichen:

Erstens: Es wurde eine neue Verfassung geschrieben, die als Beleg einer relativ sehr fortgeschrittenen bürgerlichen Demokratie angesehen werden konnte. Es waren zwar die Deutschen, die den Grundgesetz schrieben, aber die Amerikaner waren es, die dessen Rahmen bestimmten. Obwohl das Menschenbild des „neuen Humanismus“, das in jenen Jahren in den Vordergrund trat, „ohne Rückgriff auf die für den europäischen Humanismus bestimmenden antiken Traditionen“ auskam, sondern vielmehr auf die Proklamationen (im Wesentlichen eine individualistische und pragmatistische Ethik) der Väter des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges wie Jefforson, Paine und Washington beruhte6, war das Geschehene nicht unbedeutend: Die Prinzipien der Aufklärung wie der Humanismus, die Gleichheit, die Gewaltenteilung, die Rechtsstaatlichkeit usw. fanden in dieser Verfassung ihren entwickelten Ausdruck. Sogar Spuren des Einflusses des Sozialismus in jenen Jahren, sowohl im Allgemeinen als auch in den Reihen der Arbeiterklasse, waren im Grundgesetz zu erkennen. So wurde in Artikel 14 des Grundgesetzes das Privateigentum in die Pflicht genommen; „sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“. Mit der Unterzeichnung dieses Grundgesetzes im Jahr 1949 wurde die Bundesrepublik Deutschland gegründet.

Zweitens: Die wiederaufgebaute kapitalistische Wirtschaft wurde nach den Prinzipien der „sozialen Marktwirtschaft“ gestaltet. Dementsprechend musste die „wirtschaftliche Freiheit“ (die berühmte sog. „Freiheit des privaten Unternehmertums“) „sozial ausgewogen“ sein. In den Worten von Ludwig Erhard, dem Vater des „deutschen Wirtschaftswunders“, sollte es „Wohlstand für alle“ geben. Der Staat hatte nicht nur für den sozialen Ausgleich zu sorgen, sondern auch zu verhindern, dass Monopole die „Freiheit des Wettbewerbs“ einschränkten.7 Insofern war die Konstruktion eines Wirtschaftsmodells, das „Wohlstand für alle“ gewährleistete, eine der wichtigsten Säulen der Strategie, den allgemeinen Einfluss des Sozialismus bei den Arbeitern und Angestellten zurückzudrängen. Die Bundesrepublik Deutschland sollte ein leuchtendes Beispiel dafür sein, dass es für soziale und gesellschaftliche Wohlfahrt nicht des Sozialismus bedurfte!

Drittens: Aus der Tatsache, dass die Bundesrepublik Deutschland ein Frontland war, folgte, dass sie nach den USA die zweite Hochburg eines entschiedenen Antikommunismus wurde. Auf der einen Seite eine von den Prinzipien der Aufklärung geprägte demokratische Verfassung und ein „Sozialstaat“, auf der anderen Seite ein virulenter Antikommunismus, der alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, insbesondere den Staatsapparat, durchdrang! Obwohl es die Vereinigten Staaten waren, die die Teilung Deutschlands initiierten, gab die Existenz der DDR dem Antikommunismus in Westdeutschland ein zusätzliches nationales Motiv. Angeblich gab es einen liberalen Staat mit einer fortschrittlichen Verfassung, aber sein Apparat wurde mit einer antikommunistischen Mentalität neu aufgebaut.8 Der Antikommunismus machte es nicht nur überflüssig, die gesellschaftlichen Wurzeln des deutschen Faschismus und die Gründe für seine tiefen Wirkungen kritisch aufzuarbeiten (was nur durch eine grundlegende Demokratisierung, die das fortschrittliche Erbe der deutschen Geschichte aufnahm, möglich gewesen wäre), sondern diente auch als einigendes Band für die verschiedenen Fraktionen des Kapitals, die weit davon entfernt waren, eine einheitliche Hegemonie zu bilden.

Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland und ihre ersten 15-20 Jahre wurden hauptsächlich durch diese drei Komponenten geprägt. Diese Merkmale boten nicht nur äußerst günstige Bedingungen für die Strategie des US-Imperialismus zur Einkreisung und zum Zerschlagen der UdSSR, sondern auch für die Erholung des deutschen Kapitals und das rasche Wachstum seiner Akkumulation.9

Anders ausgedrückt: das faschistische und rassistische Deutschland wurde durch ein Westdeutschland ersetzt, das demokratisch war und „Nie wieder!“ sagte. Dieses Deutschland schrieb mit der Zeit eine wirtschaftlich-soziale Erfolgsgeschichte, die die im Rahmen der Strategie des Kalten Krieges geleistete vielfältige Unterstützung durch die USA allmählich in den Hintergrund drängte und die aus diesem Umstand herrührende Bedingtheiten immer mehr sekundär werden ließ. So erholt es sich relativ schnell, schafft sein eigenes „Wirtschaftswunder“, baut den Sozialstaat auf, erhöht den gesellschaftlichen Wohlstand, treibt den Handel mit der Welt, insbesondere mit den europäischen Nachbarn, voran, vergrößert die Kapitalakkumulation rasch und spielt eine wichtige Rolle bei der Errichtung eines neuen gemeinsamen Marktes und einer Wirtschaftsgemeinschaft in Europa. Abgesehen von der militärischen Sicherheit stand Deutschland nun auf eigenen Beinen.

Nun hatte diese Erfolgsgeschichte, die bis in die späten 70er Jahre andauerte, auch eine kulturell-ideologische Dimension. In dieser Dimension sehen wir wie der deutsche Geist mit seinen unverwechselbaren Merkmalen sich wiederfand! Wenn der Geist, wie Hegel es ausdrückte, „die Subjektivität, sich zu wissen“10 ist, wie wusste sich dann dieser deutsche Geist, genauer gesagt dieser bundesrepublikanische Geist? Sein sich selbst wissen kann folgendermaßen zusammengefasst werden: ‚Deutschland ist frei und demokratisch; es hat einen Rechtsstaat, der Gleichheit, Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit garantiert; es wendet sich gegen jede Form von Totalitarismus und hält die Prinzipien und Werte der Aufklärung hoch, von denen sich seine Parteien, sein Staat und sogar die NATO, der er angehört, leiten lassen; daher kann Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln nicht akzeptiert werden; Deutschland ist friedlich; der Weg, Konflikte zu lösen, ist die Diplomatie, in Deutschland produzierte Waffen dürfen daher nicht in Kriegsgebiete verkauft werden; Deutschland ist ein Sozialstaat; es gibt keine Klassen, sondern soziale Gruppen und Schichten; die Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sind nicht unversöhnlich, sondern konvergieren im Wesentlichen; die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ist zugleich die Gewähr für den sozialen Wohlstand der Arbeitnehmer; deshalb muss der soziale Frieden gewahrt werden, die Tarifautonomie ist ein Grundprinzip desselben, eben aus demselben Grund sind politische Streiks verboten…‘ Entsprechend ist auch das Weltbild des bundesrepublikanischen Geistes wie folgt: ‚Die Welt jenseits des Kommunismus ist demokratisch, frei, nicht totalitär; wird nicht von willkürlichen Weisungen, sondern von Werten geleitet, sie respektiert das Völkerrecht, achtet die Souveränität der Länder…‘

Solange die Erfolgsgeschichte, die durch die internationalen Verhältnisse jener Jahre befördert wurde, anhielt, löste sich dieser bundesrepublikanische Geist, der seine Selbstwahrnehmung für die Realität selbst hielt, von der Realität der Welt ab. Er befand sich nun in einem neuen Luftreich des Traums. Und mit dem Wendepunkt der Jahre 89/91, also mit dem Zusammenbruch der DDR und der UdSSR, sah sich dieser von der Realität der imperialistisch-kapitalistischen Welt entfremdeter Geist zusätzlich noch durch die Geschichte bestätigt! Siehe da: die bürgerliche Demokratie trägt den Sieg davon, die freie Welt überwindet die Finsternis, der Eiserne Vorhang fällt nieder, Deutschland vereint sich, der Weltmarkt wird einheitlicher und Hindernisse für den freien Handel, wie Nationalismus und Protektionismus, werden aufgehoben!

Aus dieser Sicht war die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) ohnehin die Verwirklichung „der Illusion, über die Nationalität und über alle wirklichen Interessen erhaben zu sein“, und Deutschland war mit seiner starken Wirtschaft die treibende Kraft dieses Gebildes. Nein, was sich unter dem Dach der Europäischen Union (EU) abspielte, konnte keine Illusion sein! Siehe da: Nord- und Osteuropa sowie die Balkanländer treten mit Feuer und Flamme der EU bei, zwischen 1990 und 2004 verdoppelt sich fast die Zahl der EU-Mitgliedsstaaten. Zweifellos stellte die EU ein Monument dar, dass der europäische Kontinent nicht zum Krieg verdammt war und dass eine „über die Nationalität und über alle wirklichen Interessen“ stehende gemeinsame Union möglich war!

Der erste Riss auf platter Erde

Nach all dem Gesagten können wir nun diesen Luftreich der Träume verlassen und den Versuch unternehmen ein wenig auf „platter Erde“ zu wandeln…

Wir haben gesehen, dass es der herrschenden bürgerlichen Propaganda in Deutschland gelungen ist, die Mehrheit der Gesellschaft über bestimmte Fakten in Unkenntnis zu halten; wie etwa, dass der Rahmen, in dem der Kapitalismus im eigenen Land gediehen ist, eine besondere Kreation der internationalen Strategie der USA war, dass die Entwicklung und der Aufstieg des Kapitalismus im eigenen Land durch das Bestehen eines besonderen und zeitweiligen Gleichgewichts der beiden auf Leben und Tod kämpfenden Systeme gefördert wurde, und dass man daher innerhalb der genannten Machtverhältnisse nicht gezwungen war selbst Kriege zu führen und letztendlich ohne die besagten Machtverhältnisse die Einigung Westeuropas, die Errichtung eines gemeinsamen Marktes und die Integration der EU nicht so möglich gewesen wäre. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, die Umwandlung des kapitalistischen Weltmarktes zu einem „einheitlichen Markt“ und die Überwindung nationaler Schranken im Zuge der Globalisierung entfalteten die besagten Bestrebungen der bürgerlichen Propaganda noch mehr Wirkung. Das Narrativ, das so das politische Leben durchdrang, bestärkte zwar den bundesrepublikanischen Geist in dem Glauben sich richtig zu wissen, doch gleichzeitig entfremdete es die Gesellschaft von den gar nicht so angenehmen Realitäten der imperialistischen Epoche.

Zum anderen: gewiss, der „sozialen Marktwirtschaft“ entsprach die Sozialpartnerschaft, deren Garant die Sozialdemokratie und die wachsende Arbeiteraristokratie waren. Zwar war das System so strukturiert, aber das Argument, dass die Interessen der Arbeiterklasse und der Monopolbourgeoisie im Wesentlichen übereinstimmend seien, war ein blanker Unsinn. Es war eine eklatante Leugnung einer profanen Tatsache, die just von jenen „auf platter Erde“ entwickelten Nationen nicht abgestritten wurde; nämlich, dass der Kapitalismus eine Klassengesellschaft ist und dass Kämpfe zwischen diesen Klassen unvermeidlich sind. Solange die UdSSR existierte, achtete die deutsche Monopolbourgeoisie darauf, dieses Narrativ, das einen wichtigen Pfeiler ihrer Hegemonie darstellte, nicht zu untergraben. Doch nach der Übernahme Ostdeutschlands und dem Zusammenbruch der Sowjetunion war diese Sensibilität nicht mehr nötig. Die Monopolbourgeoisie erklärte mit großem Selbstbewusstsein, dass sie die Sozialpartnerschaft nicht mehr so sehr benötige wie früher! Als sie offenkundig erklärte, dass auch die ausgewachsene Arbeiteraristokratie abspecken müsse, klopften Vertreter der Gewerkschaftsbürokratie einer nach dem anderen an ihre Tür und baten sie, das deutsche Modell auszeichnende Sozialpartnerschaft nicht aufzukündigen! Diese Bemühungen waren jedoch vergeblich, denn die deutsche Monopolbourgeoisie hatte viel vorher schon die vorbereitenden Maßnahmen für jene Offensive, die von ihren Klassenbrüdern in den USA und im Vereinigten Königreich demagogisch als „Neoliberalismus“ bezeichnet wurde, notiert und geschlussfolgert, dass sie ähnliche Schritte unternehmen musste, wenn sie auch nur ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten, geschweige denn steigern wollte (sie konnte nämlich diese Schritte aufgrund der relativ noch starken Arbeiterbewegung in den 70er und 80er Jahren nicht in dem von ihr gewünschten Tempo und Ausmaß vollziehen).

Zum einen war der „Wirtschaftsboom“, der etwa 20 Jahre anhielt, wenn man die Krisenzeit von 1966/67 außer Acht lässt, seit Mitte der 70er Jahre abgeklungen. In der Weltwirtschaft gab es herausfordernde Entwicklungen. 1971 traten die USA aus der „internationalen Währungsordnung“ von Bretton Woods aus (d.h. der Dollar-Gold-Gegenwert wurde abgeschafft), die Krise von 1974 brach aus, Inflation und Arbeitslosigkeit breiteten sich aus. Im Jahr 1975 griff die Wirtschaftskrise auf alle Bereiche in Deutschland über. In den folgenden Jahren belebte sich zwar die Wirtschaft, die Exportindustrie erholte sich, aber die Arbeitslosigkeit blieb hoch (1 Million). Die keynesianische Politik wurde allmählich in Frage gestellt, und es wurden Wege zur Stärkung des Angebots anstelle der Nachfrage diskutiert.

Unter der Kohl Regierung, die 1982 ihr Amt antrat, wurden in diesem Rahmen Schritte zur „Konsolidierung“ der Sozialpolitik eingeleitet und erste ernsthafte Einschränkungen des „aufgeblähten Sozialbudgets“ auf die Tagesordnung gesetzt.11 Mit dem Wendepunkt 89/91 nahmen diese Schritte eine neue Dimension an; man begann bekannte Programme wie Privatisierung und Deregulierung umzusetzen. Diese wurden mit politischer und moralischer Druck auf die Gesellschaft und Arbeiter begleitet.  Neben den Phrasen über die Finanzierung der „Kosten der deutschen Einheit“ propagierte man rund um die Uhr die Notwendigkeit, die deutsche Wirtschaft für den internationalen Wettbewerb fit zu machen. Doch dies wäre bei den hohen Löhnen im Lande nicht möglich, daher seien neue Opfer erforderlich, ansonsten könne man den Wohlstand nicht erhalten usw. In den 90er Jahren kam es wie in allen fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern so auch in Deutschland zu einem gravierenden Verlust des Selbstbewusstseins unter den Arbeitern. Die moralische Überlegenheit lag unbestritten beim Kapital. Die sozialen Rechte wurden in vielerlei Hinsicht eingeschränkt. Doch der eigentliche Schlag erfolgte unter der sozialdemokratischen Schröder Regierung. Im Jahr 2003 wurden die „Agenda 2010“ und die „Hartz IV“-Reformen angekündigt, deren Vorbereitungen bereits 1999 begonnen hatten. Die deutsche Sozialdemokratie übernahm offen das „neoliberale“ Narrativ. Das Konzept der „Trickle-Down-Economy“, das der „Neoliberalismus“ aus den verstaubten Regalen geholt hatte, sollte nun den Wohlstand bringen, d.h. wenn das Kapital seine Akkumulation steigert, steigert es auch seinen Konsum und seine Investitionen, was dafür sorgen würde, dass der Wohlstand im Laufe der Zeit nach unten tröpfelt! Eine wahre Sozialpolitik bestünde also darin, die besten Bedingungen für das Kapital zu schaffen! Erhards Konzept des „Wohlstands für alle“ wurde so an die Bedingungen der Globalisierung angepasst. Der Garant für den Wohlstand war nicht mehr der Staat, sondern das Kapital!

Die Schröder „Reformen“ erschütterten einen tief verwurzelten Glauben der deutschen Arbeiterinnen und Arbeiter, nämlich, dass sie in ihrem eigenen „Sozialstaat“ sicher seien. So entstand der erste tiefe Riss im bundesrepublikanischen Geist. In relativ kurzer Zeit wurde nämlich deutlich, dass die „soziale Marktwirtschaft“ nicht den „Wohlstand für alle“ sicherte. Dabei wurde der Preis der Arbeitskraft in einem Land mit relativ hoher Produktivität gesenkt, die Reallöhne der Arbeiter und Angestellten (mit Ausnahme derjenigen, die lange in der Kernindustrie gearbeitet hatten oder qualifiziert waren) sanken rapide, der Niedriglohnsektor wuchs auf jeden fünften Beschäftigten an, und das Problem des Auskommens und der relativen Armut begann sich vor allem unter den Rentnern, Jugendlichen und Kindern zu verschärfen. Nicht nur prekäre Arbeitsverhältnisse, sondern Prekariat im Allgemeinen bereitete sich in den unteren Schichten aus. Die Arbeiterklasse wurde in einem noch nie dagewesenen Ausmaß gespalten, und der soziale Haushalt wurde gekürzt. Die Kehrseite der Schrumpfung der Binnennachfrage und der Senkung der Kosten für das Kapital war eine deutsche Exportwirtschaft, die davon galoppierte und ihre weltweite Marktanteile außerordentlich vergrößerte.

In der Zwischenzeit waren Schritte unternommen worden, um den Marktanteil der deutschen Exporte, genauer gesagt den deutschen Marktanteil im europäischen Binnenmarkt zu stärken. So wurde der Euro 1999 in 11 Mitgliedsstaaten zur offiziellen Währung. Zuvor wurden im Rahmen des Maastrichter Vertrages auch finanzielle Kriterien festgelegt und im Namen der so genannten „Konvergenz“ der Volkswirtschaften der verschiedenen europäischen Länder strenge Regeln für die Staatsverschuldung und Haushaltsdefizite aufgestellt. Abgesehen von den inneren Ungereimtheiten und Widersprüchen dieser finanzpolitischen Regeln angesichts der ungleichmäßigen Entwicklung des Kapitalismus und der Konkurrenz zwischen den kapitalistischen Staaten (wie es in der Euro-Krise zu sehen war!), besteht kein Zweifel, dass die gemeinsame Währung und diese Kriterien die deutsche Wirtschaft am meisten begünstigten. Diese Maßnahmen setzten gleichzeitig den anderen Mitgliedsstaaten konkrete Grenzen, damit sie von der starken deutschen Wirtschaft nicht unverhältnismäßig profitieren (z.B. könnten diese Staaten basierend auf den starken Euro ihre Kreditaufnahme und Haushaltsdefizite erhöhen wollen, um so ihr eigenes Kapital zu stärken!). Damit dieses europaweite System nach der Krise von 2008 nicht zusammenbricht, hat Deutschland 2009 die „Schuldenbremse“ in sein Grundgesetz aufgenommen. Somit sagte man quasi den EU-Mitgliedsstaaten: ‚Was ich von euch verlange, gilt auch für mich.‘ Von nun an durfte der Staat nur noch so viel Geld ausgeben, wie er in der Kasse hatte! Nur in außergewöhnlichen Notfällen könnte diese Bremse aufgehoben werden und der Staat mehr Geld leihen.

Ein in diesem Zusammenhang nicht unwichtiger Punkt war noch, dass die „Wiedervereinigung“ dem deutschen Imperialismus auch die Möglichkeit eröffnete, seine Beziehungen zu Russland auf eine neue Grundlage zu stellen. Das geschwächte und noch nicht erholte Russland war für die deutsche Industrie ein vielversprechender Markt. Zum einen konnten viele wichtige Rohstoffe mehr als bisher aus einem relativ nahen Markt geliefert werden, zum anderen begann Russland im Rahmen des eigenen Wiederaufbaus verstärkt deutsche Industrieprodukte abzunehmen. Für die deutsche Monopolbourgeoisie bot aber das russische Erdgas die größte Chance. Russisches Gas spielte nun eine Schlüsselrolle bei der Deckung des wachsenden Energiebedarfs der deutschen Industrie. Und trotz der Einwände sowohl der osteuropäischen Länder (in Polen wurde Nord Stream als „zweiter Hitler-Stalin-Pakt“ bezeichnet!)12 als auch der USA gab Deutschland Nord Stream nicht auf. Die Aussicht, dass Nord Stream eine Drehscheibe für den Erdgashandel in ganz Europa werden könnte, war die eine Seite der Medaille, die andere Seite war, dass das russisches Erdgas relativ billiger war als auf den Weltmärkten.

Nach dem Ende des Kalten Krieges und der Wiedervereinigung Deutschlands war es nicht mehr notwendig, die Rolle eines Frontlandes zu übernehmen. Die EU konnte nun sie selbst sein, zwar nicht gegen die USA, aber trotz der USA. Der deutsche Imperialismus hatte an Selbstvertrauen gewonnen. Im Golfkrieg gehörte er nicht zur „Koalition der Willigen“ (Schröder: „Deutschland beteiligt sich nicht an diesem Krieg“). Gleichzeitig arbeitete er an der Bildung einer stillschweigenden Achse mit Russland. Gemeinsam mit Frankreich beschleunigte er seine Expansion auf den Weltmärkten über die EU, vor allem durch diverse Freihandelsabkommen. Kurzum, der deutsche Imperialismus hatte sich gut vorbereitet, um in der „Neuen Weltordnung“ einen ihm gebührenden Platz zunehmen.

Die Kehrseite des Exportweltmeister Titels

Rückblickend wird man feststellen können, dass dieses exportorientierte Modell mit all seinen Implikationen der deutschen Monopolbourgeoisie in jenen Jahren einen besonderen Vorteil in Europa und der Welt verschaffte. Allein die Tatsache, dass Deutschland zwischen 2003-2008 hintereinander Exportweltmeister wurde, belegt dies ausreichend. So vergrößerte sich Deutschlands Marktanteil rasch und die eigenen Monopole zeichneten fortlaufende Gewinnrekorde. Die Ausrichtung auf den chinesischen Markt nahm in diesen Jahren ebenfalls zu, aber die wirklich großen Zuwächse wurden auffallend jeweils nach den Wirtschaftskrisen (nach 2008 und 2019/20) gemacht. Andererseits waren die Auswirkungen dieser Exportdynamik auf das inländische Wirtschaftswachstum relativ begrenzt. Dies zeigen die dekadischen Daten zum BIP-Wachstum: 1991-2000 lag der Durchschnitt bei 1,6 Prozent, 2000-2010 bei 0,9 Prozent (auch bedingt durch die Weltwirtschaftskrise 2008). Der Durchschnitt für 2010-2020 lag bei nur 1,2 Prozent.13

Im Zuge der Globalisierung bauten die deutschen Monopole auch eigene Wertschöpfungs- und Lieferketten auf ausländischen Märkten auf. In gewissem Maße verringerte dieser Prozess auch die Abhängigkeit der großen deutschen Monopole vom heimischen Markt. Damit wurden auch die möglichen Nebenwirkungen der Begrenzung der Binnennachfrage durch bürgerliche Regierungen für die Monopole kompensiert. In den Jahren, in denen die Globalisierung in vollem Gange war, galt dieser Effekt für eine gewisse Zeit sogar für Unternehmen ohne Monopolstellung.

In den Jahren, wo die Globalisierung auf Hochtouren lief, d.h. in den Jahren, in denen der Kapitalexport aus den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern ins Ausland, insbesondere nach Übersee, enorm zunahm, kam es in den Volkswirtschaften der imperialistischen Länder zu nicht unerheblichen Verschiebungen im Gleichgewicht der Import-Export-Beziehungen. Selbst in hochindustrialisierten Ländern wie Deutschland nahm der Anteil der Importe zu. Deutschland zeichnete sich jedoch dadurch aus, dass die Importe stets in einem Maße zunahmen, das hinter den Exporten zurückblieb. So wies die deutsche Wirtschaft zwischen 1997 und 2022, also ein Vierteljahrhundert lang, stets einen Exportüberschuss auf. Ein weiteres Merkmal der deutschen Wirtschaft war in diesem Zusammenhang, dass die öffentlichen Investitionen über viele Jahre hinweg niedrig blieben. Während der Rückgang der öffentlichen Investitionen ein Merkmal fast aller imperialistischen Länder war, sprach man in Deutschland bereits von der „chronischen Investitionsmangel als deutsche Krankheit“. So bewegte sich der Anteil der öffentlichen Investitionen am BIP zwischen 1998 und 2018 in der Regel zwischen 1,9 und 2,4 %.14 Der höchste Wert wurde mit 2,69 % im Jahr 2020 erreicht, als die Pandemie ausbrach. Deutschland investiert im EU-Durchschnitt am wenigsten in die öffentliche Infrastruktur. In den 2000er Jahren lag der EU-Durchschnitt bei 3,7 Prozent des BIP, während er in Deutschland bei 2,1 Prozent lag.15

Kurzum, Deutschland hat sich zu einem Land mit einer sehr hohen Außenhandelsquote entwickelt. Diese Quote, die das Ausmaß der Verflechtung einer Volkswirtschaft mit dem Weltmarkt zeigt, stieg von durchschnittlich 33,6 Prozent in den 1970er Jahren auf 60 Prozent in den Jahren 2000-2009. Im Jahr 2015 lag er bei 72,2 Prozent! Im selben Jahr lag der weltweite Durchschnitt bei 44,4 Prozent!16 Im Jahr 2022 stieg diese Quote in Deutschland auf 79,90 Prozent.

Es versteht sich von selbst, dass der Erfolg dieses Akkumulationsmodells im Wesentlichen von der Senkung der Löhne im Inland, der allgemeinen Senkung der Sozialkosten, dem Wachstum des Welthandels, der Öffnung der Weltmärkte, insbesondere des gemeinsamen Marktes, und der Erhöhung oder zumindest dem Erhalt von Marktanteilen abhängt. In dem Maße, in dem dies verwirklicht wird, profitieren auch die Unternehmen ohne Monopolstellung direkt bzw. indirekt von der Entwicklung der Exportindustrie. Wenn sich jedoch diese Rahmenbedingung aufgrund von Entwicklungen in der internationalen Situation und im internationalen Handel ändern, d.h. wenn Handelskriege und Protektionismus zunehmen, wenn der Markt und die entsprechenden Anteile darin nicht wie bisher wachsen, sondern schrumpfen, beginnen die Möglichkeiten jener Unternehmen ohne Monopolstellung, die bisher von der Exportwirtschaft profitiert haben, zu schwinden. Gerade unter diesen Umständen macht sich der Unterschied zwischen Monopol und Nichtmonopol besonders merkbar (Monopole haben eben relativ größere Fähigkeiten Verluste zu kompensieren).

Aufgrund dieser strukturellen Merkmale der deutschen Wirtschaft hat die Krise von 2008-2009 Deutschland besonders hart getroffen. In Deutschland erlebten somit nicht nur die arbeitende Bevölkerung, sondern auch die Kleinbourgeoisie und der Mittelstand17 die Globalisierung in ihrer negativen Dimension. Als die Krise ausbrach griff der kapitalistische Staat umgehend ein, indem er öffentliche Mittel mobilisierte und versuchte, das Ausmaß der Krise gering zu halten. Doch die Kleinbourgeoisie und der Mittelstand war von der Krise stärker betroffen als die Monopolbourgeoise, so konnten Konkurse in einigen Sektoren nicht verhindert werden. Dabei blieb es aber nicht. Auf die Krise von 2008-2009 folgte nun Anfang 2010 die Euro-Krise. Die negativen Auswirkungen der Euro-Krise auf die oben genannten bürgerlichen Schichten war nicht nur darauf zurückzuführen, dass sie im Zuge der Weltwirtschaftskrise ausbrach, sondern auch darauf, dass sie unter den Bedingungen einer auf Hochtouren laufenden Globalisierung geschah. Ein Teil der nicht-monopolistischen Bourgeoisie, insbesondere jene, die für den heimischen Markt arbeiteten, befanden sich im Zuge der Globalisierung eh schon in einer Art „Geschäftsmodellkrise“. Da die von einem exportorientierten Modell geforderten „offenen Märkte“ auch für den eigenen Binnenmarkt gelten musste und daher schon vor der großen Krise zu einem zunehmenden Zufluss ausländischen Kapitals in den deutschen Markt kam, war es unvermeidlich, dass diese Entwicklung die bestehenden ökonomischen Gleichgewichte auf dem deutschen Binnenmarkt erschüttern würde. Während die Globalisierung z.B. die Möglichkeit bot, die Kosten der Reproduktion der Arbeitskraft durch relativ billige Importprodukte zu senken, bedeutete sie für die nicht monopolistischen Teile der Bourgeoisie, den harten Forderungen und Ansprüchen der deutschen und ausländischen Monopole ausgesetzt zu sein. Für einen Teil dieser Schichten bedeutete die Globalisierung eine noch nie dagewesene Verschärfung des Monopoldrucks (von Preisauflagen bis hin zu einer außerordentlichen Schrumpfung der Wettbewerbskapazitäten).18 Hinzu kam eine große „steuerliche Ungerechtigkeit“, die für diese Schichten von besonderer Bedeutung war (die Monopole zahlten dank der neuen Gesetze und der durch die Globalisierung weit verbreiteten „Steuerparadiese“ wenig oder fast gar keine Steuern). Kurzum, der Titel Exportweltmeister basierte nicht nur auf niedrige Löhne, sondern auch auf die Benachteiligung bestimmter Teile der nicht-monopolistischen Bourgeoisie.

So war es kein Zufall, dass gerade unter diesen Verhältnissen Teile der nicht-monopolistischen Bourgeoisie in Deutschland die „Rettungspakete“ ablehnten, die von der EU im Rahmen der Euro-Krise geschnürt wurden. Deutschland könne auch noch nicht die Last anderer Länder tragen, hieß es! Auf jeden Fall müsse die Umwandlung der EU in eine „Transferunion“, d.h. in eine Struktur, in der Deutschland die wirtschaftlich schwächeren Länder finanziert, verhindert werden! Während die deutsche Monopolbourgeoisie das System der Maastricht-Kriterien als Mittel zur Durchsetzung ihrer eigenen Interessen gegenüber ihren Konkurrenten innerhalb der EU verwertete, also ihren Einwand gegen die „Transferunion“ mit diesem Ziel verband, argumentierten Teile der Nicht-Monopolbourgeoisie, dass aus diesem gemeinsamen Einwand andere Schlussfolgerungen gezogen werden müssten, nämlich die Abschaffung der gemeinsamen Währung. Die Einigkeit in der Zielsetzung verschwand, sobald es zu der Frage kam, welche Schlussfolgerung daraus zu ziehen sei. Es wurde deutlich, dass die Monopol- und die Nicht-Monopol-Bourgeoisie nicht über die gleichen Mittel/Möglichkeiten verfügten, um mit den Risiken einer gemeinsamen Währung umzugehen. Auf der Grundlage dieser Divergenz wurde 2013 die AfD gegründet und es war folgerichtig, dass sie sich gegen die Politik der „Euro-Rettung“ positionierte und dadurch profilierte.

Damit wurde ein weiteres Monument des bundesrepublikanischen Geistes zerrüttet, und einige Teile der klein- und mittelbürgerlichen Bourgeoisie begannen, die Illusion bezüglich der EU („über die Nationalität und über alle wirklichen Interessen erhaben zu sein“) in Frage zu stellen. Interessanterweise klammerte sich vor allem jene Teile der klein- und mittelbürgerlichen Bourgeoisie, die für die neuen Herausforderungen der Globalisierung gerüstet waren und Unternehmen in der Kommunikations- und Digitaltechnik aufgebaut hatten, angesichts dieser nationalistischen Tendenzen noch stärker an dieser Illusion (ihre Interessen überschnitten sich mit denen der Monopolbourgeoisie, und die Grünen waren die Partei, die versuchte, diese Überschneidung zwischen den beiden zu bewahren).19 In ihren Augen gab es keine Alternative zur EU, eine Rückkehr zum alten Europa des Nationalismus durfte nicht stattfinden. Die einzige Alternative bestand also darin, die EU funktionsfähiger zu machen, sie von ihren Mängeln zu befreien. Teile des Kleinbürgertums (von einem Flügel der Grünen bis zur Linkspartei) setzten weitergehende Ziele: Durch eine Reihe von Reformen sollte die EU in eine demokratische, ökologische und soziale Union verwandelt werden! Anders ausgedrückt: die Konturen der Desillusionierung, die mit der Welt- und Eurokrise am Horizont erkennbar wurden, sollten dadurch aufgelöst werden, indem man sich fester an dieser Illusion klammerte, so wie eine abklingende Liebe, jenen Geliebten noch fester an sich bindet, der diese Eventualität nicht akzeptieren kann!

Lassen Sie uns diesen Abschnitt mit der Erwähnung von zwei weiteren wichtigen Faktoren abschließen, die einen Schatten auf die Vollkommenheit des deutschen Modells werfen. Wie bereits erwähnt, versuchten die deutschen Monopole, das Problem der durch die Krise 2008-2009 verursachten Marktschrumpfung dadurch zu überwinden, indem sie ihre Direktinvestitionen in China enorm steigerten. Dies war keine falsche Orientierung, denn die chinesische Wirtschaft wuchs gewaltig. Überhaupt diente das Wirtschaftswachstum in China den westlichen kapitalistischen Ländern als ein Hebel, um die Wirtschaftskrise zu überwinden. Unterdessen stieg China zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt auf! So kam es, dass Deutschland 2009 den Exportweltmeistertitel an China abgab und ihn seitdem nicht mehr zurückerlangte. China hat diesen Titel seit 2009 inne. Auch beim Exportüberschuss ist Deutschland zwischen 2010 und 2021 hinter die USA zurückgefallen. Die deutschen Exporte sind in den letzten Jahren zwar nicht zurückgegangen, aber der Exportüberschuss ist geschrumpft. Mit 81 Milliarden Euro war der Überschuss im Jahr 2022 der niedrigste seit 22 Jahren.

Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen China und Deutschland sind ein Thema für sich, so dass wir nur das Folgende erwähnen wollen, um nicht abzuschweifen: China ist nicht nur ein wichtiger Markt für Deutschland, sondern auch ein großer Konkurrent, auch in technologischer Hinsicht.20 Das heutige China ist zum Beispiel der weltweit größte Markt für Elektrofahrzeuge, auf dem einheimische Marken ausländischen Marken zunehmend Kunden wegnehmen. Der chinesische Elektrofahrzeughersteller BYD beispielsweise ist dabei, Tesla beim weltweiten Absatz zu überholen. In nächster Zeit wird das Unternehmen seine Präsenz auf dem europäischen Markt noch stärker ausbauen. Das Unternehmen hat in Ungarn bereits seine erste Elektrofahrzeugfabrik in Europa eröffnet. Die „Antwort“ der EU auf diese Entwicklung war die „Einleitung einer Untersuchung“ gegen chinesische Hersteller! Ein ähnliches Beispiel lässt sich aus dem Maschinenbau anführen. China ist seit geraumer Zeit der größte Maschinenhersteller der Welt. Im Jahr 2020 hat China auch bei den Maschinenexporten Deutschland überholt. Natürlich versuchen auch deutsche Unternehmen, aus dieser Produktionskapazität Kapital zu schlagen, zum Beispiel im Bereich der Industrieroboter, wo China noch relativ hinterherhinkt und ihr Bedarf an deutscher Technologie wächst.21 Aber der allgemeine Trend ist klar. Ein ernstzunehmender Konkurrent ist auf die Bühne getreten. Ein Konkurrent, der nicht nur den Marktanteil der deutschen Wirtschaft (insbesondere den der Exportindustrie) verringert, sondern auch die zweitgrößte imperialistische Macht der Welt ist!

Doch damit nicht genug, denn es gibt eine Steigerung, die mit dem Namen eines Mannes zusammenfällt: Donald Trump! Für den bundesrepublikanischen Geist ist Trump nicht nur die große Enttäuschung, sondern er ist die Inkarnation des bösen Geistes selbst! Er ist der Zerstörer des Narrativs über die USA als „Führer der freien Welt“. Er ist der Mörder des großen Bruders, der bis dahin Deutschland unter seinen Flügeln Schutz gewährte! Trumps Amerika ist ein Albtraum für die süßen Träume des deutschen Imperialismus. Denn das ist jene Amerika, das zu ihm sagt: „Unter meinen Fittichen hast du jede Menge Speck angesammelt, jetzt ist Schluss damit, ohne Gegenleistung läuft gar nichts mehr!“ Für diejenigen, die den bundesrepublikanischen Geist verinnerlicht hatten, war somit eine Welt zusammengebrochen: dem Architekten ihrer Konstitution, dem Garant ihrer Sicherheit und dem Hüter der „regelbasierten internationalen Ordnung“, von der sie bis dato in höchstem Maße profitierten, kann nun nicht mehr vertraut werden. Auch wenn mit der Wahl von Joe Biden zum Präsidenten neue Hoffnung aufkeimte, so wurde doch bald klar, dass sich im Wesentlichen nur der Führungsstil der „America first“-Politik geändert hatte.22 Eventuell wird es noch schlimmer kommen, wenn bei den diesjährigen Wahlen Trump wiedergewählt wird!

Alles in allem, seien es nun die Vertreter des bundesrepublikanischen Geistes oder die Sprecher des deutschen Wirtschaftsmodells, beide jammern nun lauthals angesichts den Mühseligkeiten „auf platter Erde“ laufen zu müssen!

Der ‚neue‘ Pfad für die Zukunft Deutschlands

Wir haben, wenn auch nur in groben Zügen, gesehen, wie sehr die politische und wirtschaftliche Struktur der Bundesrepublik Deutschland durch die internationale Ordnung der Nachkriegszeit geprägt war und wie sehr sie in ihrer Entwicklung von der Existenz dieser Ordnung profitiert hat. Diese Ordnung besteht nun aber de facto nicht – nicht nur aufgrund den Entwicklungen in den USA und China, sondern auch, weil der Kampf um Einflusssphären in Osteuropa durch die russische Aggression eine Formveränderung erfahren hat, also der Kampf wird jetzt auch durch Kriege offen ausgetragen. Die Rede von Bundeskanzler Scholz im Bundestag unmittelbar nach Ausbruch des Krieges, in der er von einer „Zeitenwende“ sprach und gleichzeitig verkündete, dass ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr beschlossen werde, war zugleich die Deklarierung einer Einsicht, nämlich, dass der deutsche Imperialismus nicht weiterhin so handeln könne und werde als ob es die besagte internationale Ordnung weiterhin gebe. Der Ukraine-Krieg war nicht die Ursache, sondern der Anlass für diese Offenbarung. Denn es zeigte sich schon vorher, dass es immer schwieriger wurde die Vorteile des „deutschen Modells“ zu bewahren, ja mehr noch, man sah, dass das Modell selbst sukzessiv zu neuen Nachteilen führte. Und nicht zu übersehen war, dass die Probleme des von der deutschen Monopolbourgeoisie sorgfältig konstruierten Modells nicht allein auf konjunkturelle Veränderungen in der Weltwirtschaft zurückzuführen waren. Um mit den Worten des Harvard-Ökonomen Kenneth Rogoff zu sagen, der die Probleme des Modells für nicht zyklisch hält, „Deutschland sucht nach einem neuen Pfad in die Zukunft.“23

Wie vorauszusehen war, hat der Krieg in der Ukraine die Bedingungen für einen neuen Pfad nicht erleichtert, im Gegenteil er hat neue Probleme mit sich gebracht, insbesondere im Energiebereich. Zuvor war man davon ausgegangen, dass eine gewisse Zeit für die geplante Neupositionierung zur Verfügung stand. Der Krieg hat nicht nur diese Zeit verkürzt, sondern auch den zuvor relativ vorhandenen Handlungsspielraum drastisch eingeengt. Insofern kann man sagen, dass die Ampel-Koalition, die 2021 mit dem Anspruch angetreten war, das Land auf den genannten Pfad zu bringen, auf einem falschen Fuß erwischt wurde. Das versprochene „grüne Wirtschaftswunder“ und die „Transformation“ blieben aus, und der Anspruch, eine „Regierung des Fortschritts“ zu sein, wurde nicht eingelöst. Scholz mutierte zum unpopulärsten Kanzler der jüngeren Geschichte. Die Verbände des Kapitals machten ihre Unzufriedenheit mit der Regierung schnell öffentlich. Gleichzeitig kündigten einige Monopole unter Berufung auf steigende Energiepreise an, ihre Produktion ganz oder teilweise ins Ausland zu verlagern. Die Lobbyorganisationen des Kapitals behaupteten, Deutschland drohe eine „Deindustrialisierung“24. Nein, so durfte und konnte es nicht weitergehen!

Dabei war die Regierung, die während der Energiekrise von allen EU-Ländern die meisten Hilfen25 für die eigenen Unternehmen bereitstellte, gar nicht mal untätig. So wurde mit dem „Wachstumschancengesetz“ beschlossen, bis 2028 jährlich 7 Milliarden Euro durch Steuererleichterungen und „Klimaschutz-Investitionsprämien“ an die Unternehmen zu überweisen. Es gibt auch Sonderfonds, wie den Wirtschaftstabilisierungsfonds oder den Klima- und Transformationsfonds (KTF). Diese werden jedoch aufgrund der Schuldenbremse nicht direkt aus dem Haushalt finanziert, sondern sind Sonderfonds, die mit den aus „Notstandsgründen“ entnommenen bzw. zu entnehmenden Krediten geschaffen werden und nicht für andere Posten verwendet werden können, wie die jüngste Entscheidung des Verfassungsgerichts zum KTF deutlich gemacht hat. Da die Regierung im Haushalt 2024 genau dies versucht hat, entstand nach dem Einspruch des Gerichts ein erhebliches Haushaltsdefizit. Dieses Defizit wurde weitgehend durch die Kürzung von Sozialausgaben und einigen Subventionen gedeckt. Eine Handlungsweise, die für die Bauern der letzte Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte, da es auch die Subvention umfasste, die sie erhielten; sie gingen umgehend auf die Straße und protestierten wochenlang. Bei der Abdeckung des Haushaltsdefizits wurden die Rüstungsausgaben außen vor gelassen; sie wurden nicht nur nicht reduziert, sondern stark erhöht.26„Zeitenwende“ bedeutete also zugleich, dass die Nicht-Aufrüstung nunmehr als ein Tabu gelten sollte! Zusammengefasst kann gesagt werden, dass die Gleichzeitigkeit dieser drei erwähnten Elemente, also die Entscheidung des Verfassungsgerichts (Schuldenbremse), die inhaltliche sowie formelle Gestaltung des Haushalts und die massive Empörung der Bauern, im Kern all jene widersprüchlichen und herausfordernden Komponenten umfassen, die eine Neupositionierung des deutschen Imperialismus betreffen.

Die Forderungen der Monopolbourgeoisie an die gegenwärtige (und künftige) Regierung, deren Arbeit sie als träge und ineffizient betrachtet, lassen sich grob wie folgt zusammenfassen: ‚In erster Linie muss auf die Wettbewerbsfähigkeit des Kapitals Rücksicht genommen werden, d.h. die Erhöhung der Profitraten und Marktanteile der Monopole muss in der Wirtschafts- und Außenpolitik Vorrang haben. Die Schuldenbremse sollte nicht abgeschafft, sie könnte aber flexibler gestaltet werden. Deutschland braucht nun eine Agenda 2030! Die Überregulierung der Wirtschaft, der Arbeitszeiten, der Sozialausgaben und das Renteneintrittsalter muss wieder auf den Tisch. Gleichzeitig muss die Steuerbelastung des Kapitals gesenkt werden. Angesichts der veränderten Weltlage muss in fast allen Bereichen (Militär, Technik, Wirtschaft, Ökologie) enorme finanzielle Mitteln mobilisiert werden. Die Hauptlast der „Transformation“ muss von der Gesellschaft getragen werden, nicht vom Kapital, denn es muss seine Wettbewerbsfähigkeit schützen. Auf Forderungen und Widerstände, die diese Ansprüche ignorieren, darf keine Rücksicht genommen werden; der Missbrauch des Streikrechts muss bekämpft und gegebenenfalls muss es eingeschränkt werden. Die ideologische und politische Hegemonie muss erneuert werden. Deutschland muss zu einem Land werden, das in dieser Welt Kriege führen kann, die pazifistische Mentalität in der Gesellschaft muss überwunden werden, und es muss erklärt werden, dass der Frieden nur durch eine rasche Steigerung der militärischen Kampfkraft („Kriegstüchtigkeit“!) erreicht werden kann. Die gesellschaftliche Sichtbarkeit der Bundeswehr muss forciert und die Notwendigkeit ihrer Verstärkung erkannt werden.27 Andererseits muss die EU weiter ausgebaut werden, indem ihre Entscheidungsverfahren dringend geändert werden (durch Abschaffung des Prinzips der Einstimmigkeit). Ebenso muss ein integrierter Bankensektor auf EU-Ebene geschaffen werden, die Integration der Finanzmärkte muss vorangetrieben werden (vor allem durch eine verstärkte Finanzierung über Anleihen), die Schritte zur Schaffung einer gemeinsamen europäischen Verteidigungsindustrie müssen beschleunigt werden, usw…‘

Dies ist im Allgemeinen der Pfad der deutschen Monopolbourgeoisie, der bereits in allen bürgerlichen Medienkanälen jetzt propagiert wird. Aber dieser Pfad, auch wenn er zu neuen Träumen verleitet, ist ein steiniger Weg. Auf diesem Pfad kann es zu potentiellen Ausbrüchen von neuen Widerstände im In- und Ausland oder zu Verschärfung von bestehenden Widersprüche kommen. Interessant ist auch, dass nicht mal die Terminologie dieses Pfads neu ist; außer dem militärischen Aspekt ist sie fast identisch mit denen der 90er Jahre. Doch weder die Arbeiter und Werktätigen in Deutschland noch die Welt befinden sich in den 90er Jahren! Der zu beschreitende Weg impliziert das knallharte Aufoktroyieren der Interessen der Monopolbourgeoisie über die Gesellschaft, was eine weitere Verschärfung der bestehenden sozialen und ökonomischen Widersprüche zur Folge haben wird. Andererseits ist es aber so, dass anders als in den 90er Jahren die Toleranz der werktätigen Klassen, sich neue Zumutungen gefallen zu lassen, materiell als auch immateriell stark eingeschränkt ist. Natürlich ist das Ende eines Märchens nicht das Ende aller Märchens. Allerdings wird die Erneuerung der Hegemonie diesmal nicht so reibungslos verlaufen. Nicht leicht wird es auch sein, auf dieser Grundlage einen neuen gesellschaftlichen Konsens zu bilden. Auch die eingeübte Methode, mit kleinen Zugeständnissen divergierende Interessen innerhalb der EU auszugleichen, wird angesichts den neuen Herausforderungen, die aus der internationale Lage und den sich verändernden Gleichgewichte herrühren und vor allem die Einheit der EU belasten, immer weniger mit Erfolg gekrönt werden.

Bemerkenswert ist, dass Scholz in seinem letzten Interview mit der „Zeit“ Aussagen machte, die im Widerspruch zu seinem beharrlichen Optimismus standen: Die Stimmung im Land nehme er als „unruhig“ wahr. Viele Bürger seien unsicher, ob „das alles gut ausgeht für sie – ob wir das hinkriegen mit dieser wohl größten industriellen Modernisierung seit mehr als 100 Jahren. Das ist eine Reise, deren Ende noch nicht abzusehen ist“, sagte Scholz. Das wolle er „offen und ehrlich aussprechen“!28

Politische Erosion und Stabilität

Jede Klasse erlebt das Geschehene entsprechend der eigenen Wirklichkeit. Aber dieses Erleben bedeutet nicht zwangsläufig, dass jede Klasse dabei auch ihre eigene Wirklichkeit im Verhältnis zu den anderen Klassen begreift und die verschleierten Zusammenhänge darin richtig erkennt. Eben der Inhalt und die Form dieser Erkenntnis ist es, der sich in den politischen Tendenzen ausdrückt.

In Deutschland kann man bezüglich des politischen Terrains von zwei verschiedenen Momenten der Erosion sprechen. Der erste manifestierte sich in der Sozialdemokratie, die zweite in den Reihen des Konservatismus (wobei zu bemerken ist, dass sie bei beiden noch andauert).29 Der Abbau des „Sozialstaates“ war eine Zäsur für die Arbeiter und Werktätigen, und die Auswirkungen der Globalisierungswellen (einschließlich der EU-Politiken) auf den Binnenmarkt stellten für die nicht monopolistische Bourgeoisie (von der Bauernschaft bis zu den mittelständischen Kapitalisten) eine Zäsur dar. Sie war einschneidend, weil sich die gewohnten Lebens- und Arbeitsbedingungen während dieser Prozesse (in den letzten 25-30 Jahren) grundlegend verändert haben.

Auf der Ebene der politischen Parteien bildete sich als Reaktion auf die Krise der ersteren die Linkspartei und auf die letztere die AfD. Die Linkspartei wuchs angesichts der allgemeinen Verschärfung der sozialen Widersprüche und vor allem der Wirtschaftskrise von 2008-2009, die große Teile der Gesellschaft erschütterte, zunächst schnell. Aber ab 2010 begann sie zu schrumpfen, da sie nicht in der Lage war, eine politische Linie zu verfolgen, die den Erwartungen gerade jener Massen entsprach, die die Verheerungen der großen ökonomischen Krise tief erlebt und mit dessen negativen Folgen weiterhin noch sehr zu kämpfen hatten. Die Linkspartei hat dem bundesrepublikanischen Geist („das Reich ‚des Wesens des Menschen‘“) nie den Rücken gekehrt; sie hat den von der Monopolbourgeoisie gebildeten und ständig reproduzierten ideologisch-politischen Rahmen weder grundlegend in Frage gestellt noch überschritten, im Gegenteil, sie wollte ein anerkanntes Subjekt desselben sein. Das Konzept des „demokratischen Sozialismus“ war eine eindeutige ideologische Manifestation dessen. In der Tat war dies kein Umstand, die nur die Linkspartei betraf. Mit Ausnahme jener Kreise, die sich offen als Kommunisten bezeichnen, aber als „marginal“ abgestempelt werden, haben sich die linken und fortschrittlichen Kräfte in Deutschland allgemein von dem Weltbild der deutschen Bourgeoisie nicht abgekoppelt. Neukantianismus, Positivismus, die Betrachtung der Geschichte nach moralischen Prinzipien und die Auffassung vom Sozialismus als einem Projekt, das lediglich anders konzipiert werden muss, sind in ihren Reihen sehr weit verbreitet. Auch haben sie sich der Arbeiterklasse entfremdet und sind überhaupt zivilgesellschaftlich orientiert. Dabei war eine kämpferische politische Linie vonnöten, die von den durch die große Offensive der Monopolbourgeoisie nach der historischen Niederlage der Arbeiterklasse rapide verschärften sozialen Widersprüchen ausging und sich entschieden auf die Klasseninteressen der Werktätigen stützte. Die Bildung einer solchen Linie erforderte jedoch das besagte, unter den linken und fortschrittlichen Kreisen vorherrschende Verständnis grundlegend zu kritisieren und es zu überwinden. Da dies nicht verwirklicht wurde, kam es auch nicht zur Bildung der genannten politischen Linie. Das Fehlen einer solchen kämpferischen politischen Linie und einer ihr entsprechenden politischen Organisation hat nicht nur dazu geführt, dass der Einfluss der Gewerkschaftsbürokratie (und indirekt der Sozialdemokratie) in der Arbeiterbewegung trotz der Verschärfung der sozialen Widersprüche nicht gebrochen wurde, sondern es hat auch der inzwischen gegründeten AfD, die eine auffallend umgekehrt proportionale Entwicklungskurve zur Linkspartei aufwies, ermöglicht, ihren Einfluss in der Arbeiterschaft zu stärken.

Die Entwicklung der AfD, die ursprünglich aus der Interessendivergenz zwischen der monopolistischen und der nicht-monopolistischen Teile der Bourgeoisie entsprang, ist seit 2013 beachtlich. Merkels Bemühungen, mit Unterstützung der Monopolbourgeoisie die Krise des Konservatismus durch eine „Sozialdemokratisierung“ der CDU einerseits und eine „Liberalisierung“ andererseits zu überwinden, waren zwar vorübergehend wirksam, brachten aber nicht nur nicht den gewünschten Erfolg, sondern gingen auch nach hinten los. Die AfD nutzte sowohl diese Krise (z. B. sind die heutigen AfD-Hochburgen in Ostdeutschland ehemalige CDU-Hochburgen) als auch das Unvermögen der Linkspartei. Während die gesellschaftlichen Bereiche, die von der Politik der Linkspartei abgedeckt wurden, allmählich schrumpfte, expandierte jene der AfD. Und die AfD wurde im Laufe der Zeit „völkisch“!30 Dass es zu dieser Entwicklung kam ist zugleich ein Hinweis dafür, wie stark doch breite Gesellschaftsschichten dem Druck und den Zumutungen der Monopolbourgeoisie ausgesetzt waren und welche Ausmaße die dadurch bedingte allgemeine Unzufriedenheit annahm.

Es ist offensichtlich, dass die von der AfD vertretene Linie den Interessen der Monopolbourgeoisie (darin insbesondere der Exportindustrie) zuwiderläuft. Dies wurde von den betroffenen Kreisen bereits mehrfach öffentlich gemacht. Deshalb wollen sie nicht, dass diese Partei ihre Massenunterstützung vergrößert.31 Allgemein, aber auch in der linken und fortschrittlichen Öffentlichkeit, wird die AfD vor allem hinsichtlich des zunehmenden Einflusses des neonazistischen und rassistischen Flügels diskutiert. Dies ist zweifelsohne eine ernstzunehmende Entwicklung. Heute aber ist der Umstand wichtiger, dass die AfD zu einem Sammelbecken für die allgemeine Unzufriedenheit unter den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen geworden ist. Und dies trotz des wachsenden Einflusses des faschistischen Flügels innerhalb dieser Partei. In dieser Hinsicht ist die AfD eine politische Projektion des allgemeinen Protests bezüglich der wirtschaftlichen und politischen Situation in Deutschland, der Enttäuschungen, zerbrochenen Träumen und wachsenden Sorgen. Für diese Projektion zeigt sie Ziele auf, die das bestehende Bewusstseinsniveau befriedigen und bestätigen: Flüchtlinge, Entfremdung, Globalisierung, Eliten usw. So findet die „Masse der Unzufriedenen“, die die Enttäuschungen oder die wachsenden Ängste spüren, die durch die Einholung des bundesrepublikanischen Geistes von der Realität verursacht wurden, Trost in der AfD. Dass die inhaltliche Gestaltung dieses Trosts dem dominierenden Narrativ widerspricht, d.h. den Geist des Nationalismus gegen den Kosmopolitismus hochhält, ist kein Zufall. Andererseits ist es offensichtlich, dass das Programm der AfD im heutigen Europa und Deutschland zumindest auf absehbare Zeit wenig Chancen hat, verwirklicht zu werden. Es versteht sich von selbst, dass die Neonazis mit aller Kraft daran arbeiten, diese Chance in Europa und Deutschland zu vergrößern.

Die aller jüngste Entwicklung an der Oppositionsfront war die Gründung der Partei „Sahra Wagenknecht für Vernunft und Gerechtigkeit“ (BSW), mit dem Ziel das politische Vakuum zu füllen, das sowohl die Linkspartei als auch die AfD aus verschiedenen Gründen nicht ausfüllen konnten. Auf diese neue Partei, die auf Initiative einiger Abgeordneter und Mitglieder, die aus der Linkspartei ausgetreten sind, gegründet wurde, kann hier nicht näher eingegangen werden. Der Anspruch dieser Partei ist, dass die Parteien, die aus der Krise sowohl der Sozialdemokratie als auch des Konservatismus hervorgegangen sind (die Linkspartei und die AfD), nicht die Lösung sind oder sein können. Daher ist es folgerichtig, dass sie ihre Linie als „sozial-konservativ“ bezeichnet. Sobald ihr Programm und ihre Praxis bekannt wird kann natürlich eine konkretere Bewertung vorgenommen werden (z. B. welche Position wird sie gegenüber den Interessen der Monopolbourgeoisie einnehmen, während sie versucht ein breites Spektrum der Gesellschaft, also vom Arbeiter bis zum Inhaber eines mittelständischen Unternehmens, für sich zu gewinnen?). Klar zu sein scheint aber, dass diese Partei eine Politik des Mittelweges einschlagen wird, der einerseits pragmatisch-realistisch32 und andererseits romantisch ist.33 Unabhängig davon, wie man sie definiert, scheint es so, dass diese Partei zwar den Aufstieg der AfD in gewissen Grenzen halten könnte, aber dies nur um den Preis, dass sie verschiedene auf der Suche sich befindende progressive Kräfte mit einem neuen Märchen in die Irre führt…

                                                                       ***

Dass der deutsche Imperialismus über die finanziellen und technologischen Mittel verfügt, um die sogenannte“große industrielle Modernisierung“ durchführen und seinen militärisch-industriellen Komplex in die Tiefe und Breite stärken zu können, steht wohl außer Frage. Aber das ist nicht der Knackpunkt. Worum es hierbei vielmehr geht ist, dass diese Neupositionierung so durchgeführt werden muss, dass das bestehende Kräfteverhältnis34 zwischen den Klassen nicht erschüttert wird, d.h. dass eine soziale Bewegung gegen die rücksichtslosen 35Zumutungen der Monopolbourgeoisie nicht provoziert wird und somit keine wertvolle Zeit durch mögliche politische Instabilitäten verloren geht. Denn es zeichnet sich immer klarer ab, dass die politischen und ökonomischen Veränderungen in der Welt schneller vor sich gehen als der Stand der Vorbereitungen der Neupositionierung Deutschlands es hergeben. Dieser Umstand impliziert, dass der deutsche Imperialismus erneut mit einer Zeitfrage konfrontiert ist.

Der heutige deutsche Imperialismus ist eine Macht, die durch den faktischen Zerfall der bisherigen internationalen Ordnung zwar gezwungen wird, aus dem eigenen Unterstand hervorzutreten, aber selbst für diesen Schritt noch nicht ausreichend vorbereitet ist. Sie ist eine Macht, die gezwungen ist vielfältige Maßnahmen zu treffen, doch diese muss sie gerade in einer Phase treffen, wo sie wertvolle Zeit verloren und während dieser verstrichenen Zeit schon sehr viel Last auf den Rücken der werktätigen Klassen abgewälzt hat. Andererseits macht sie aber Tag für Tag die Erfahrung, dass sie ihre imperialistischen Ziele nicht erreichen können wird, ohne ihre bisherige Komfortzone aufzugeben.

Die deutsche Monopolbourgeoisie ist sich bewusst, dass die Säulen ihrer Hegemonie, die ihre Entwicklung bisher ermöglicht haben, zu erodieren beginnen. Diese auch die Neupositionierung dringender machende Erosion, gestaltet sich je nach den Säulen unterschiedlich; einige davon, wie z.B. der internationale Marktanteil oder die technologische Konkurrenz, befinden sich nicht unter ihrer Kontrolle. Andererseits befindet sich unter diesen Säulen jene, die als ihr größter Trumpf angesehen werden kann, nämlich die gewissermaßen traditionelle Schwäche der deutschen Arbeiterbewegung, also der Glaube in ihren Reihen, zu einer Schicksalsgemeinschaft mit dem eigenen Kapital verdammt zu sein. Ein Glaube, der von der Gewerkschaftsbürokratie, die vor allem in der Kernindustrie immer noch stark präsent ist, erfolgreich gepflegt wird.36 Ohne Zweifel, der Prozess der Neupositionierung wird auch die Erosion dieses Trumpfes beschleunigen. Denn die Veränderungen im Rahmen der Hegemonie (weitere Aushöhlung der bürgerlichen Demokratie, Stärkung des Militarismus, weiterer Abbau des Sozialstaats, veränderte Weltlage usw.), die auch die vorhandenen Widersprüche noch mehr verschärfen werden, werden auch die Wirkung dieses Trumpfs schwächen. Damit dieser Werdegang nicht ohne Konsequenz bleibt und die darin enthaltenen Möglichkeiten in einem revolutionären Sinne genutzt werden können, ist es unter anderem notwendig, die ideologische Verwirrung in den linken und fortschrittlichen Kreisen zu überwinden, insbesondere unter den fortgeschrittenen Arbeitern und Gewerkschaftern.

Die kommende Periode wird in dieser Hinsicht viel anspruchsvoller sein als bisher, weil angesichts den deklarierten Forderungen der Monopolbourgeoisie, sowohl die politischen als auch die sozialen Widersprüche zunehmen werden. Die deutsche Monopolbourgeoisie antizipiert, dass die fehlende Übereinstimmung zwischen den drängenden Maßnahmen der Zeit und der Zeit, die für deren Umsetzung benötigt wird, keinen reibungslosen, gleichmäßigen und geplanten Verlauf verspricht. Der deutschen Arbeiterklasse hingegen fehlt es an einer kämpferischen politischen Linie und einer Organisation, die in der Lage ist, die in der genannten Nicht-Übereinstimmung für sie jetzt schon bestimmte Rechnung abzuwehren und die nicht unerheblichen Dilemmata der Monopolbourgeoisie erfolgreich auszunutzen. Selbstverständlich wird dieser Zustand nicht ewig fortbestehen. Was sich jetzt schon mit Sicherheit sagen lässt, ist, dass die Zahl derjenigen in den Reihen der Arbeiterklasse, die aus dem anstehenden schwierigen Prozess aufgeklärter hervorgehen werden, die im Geiste ihrer Klasse und nicht der Bourgeoisie handeln werden, größer sein wird als heute.

Fußnoten

  1. https://www.deutschestextarchiv.de/book/view/heine_wintermaehrchen1_1844?p=34 ↩︎
  2. Marx-Engels: Die Deutsche Ideologie, MEW Band 3, Seite 457. ↩︎
  3. Süddeutsche Zeitung, 18. Januar 2024 ↩︎
  4. “Fünf magere Jahre”, Der Spiegel, 2024 (4), Seite 54. ↩︎
  5. Laut dem Arbeitsminister Heil müssen bis 2035 ca. 7 Millionen Arbeits- bzw. Fachkräfte ersetzt werden. ↩︎
  6. Holz, H. H. (2003) Deutsche Ideologie nach 1945, Neue Impulse Verlag, Essen, Seite 18. ↩︎
  7. Das Bundeskartellamt wurde dafür geschaffen. ↩︎
  8. Daher war es nur folgerichtig, dass in allen Ebenen des staatlichen Apparats und den Institutionen (von Finanzinstituten bis zur Justiz, vom Geheimdienst bis zu den Universitäten) ehemalige Nazis wieder in Amt und Würde waren, während den Kommunisten der Prozess gemacht und die KPD, also jene Partei, die unter den bestehenden Parteien den entschiedensten Kampf gegen den Hitlerfaschismus geführt hatte, verboten wurde. Ebenso, dass Kommunisten mit Berufsverbote belegt, ihre gewerkschaftliche Aktivitäten erschwert und Marx aus den Universitäten verbannt wurde. ↩︎
  9. Zweifellos blieben diese strukturellen Merkmale nicht so, wie sie waren. Sukzessiv entstanden Risse in dieser Struktur, da sich die Klassenkämpfe in den folgenden Jahren verschärften. Auch das Korsett des Antikommunismus, das man versuchte, dem ganzen Land aufzuzwingen, wurde mit der Zeit teilweise zerrissen. Und wie es sich im nach hinein zeigte, erforderte die Wahrung der fortschrittlichen Elemente der Verfassung immer einen Kampf gegen die gegenteiligen Bemühungen der Bourgeoisie. ↩︎
  10. Hegel, G. W. F. (1971) Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Band I, Verlag Philip Reclam jun. Leipzig, S. 209. ↩︎
  11. Dass in den 80er Jahre der Rassismus ausbrach, dessen Vorwand die steigenden Asylanträge waren, kann für diese Zeit nicht als ein Zufall bewertet werden. ↩︎
  12. Für Russland war nicht nur der Umfang des Gasexports von Bedeutung, sondern auch die geopolitischen Aspekte der Transportpipelines. ↩︎
  13. Destatis (2023) “Pressemitteilung Nr. N 032”, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/06/ PD23_N032_81.html  Zwar fand zwischen 2010-2019 ein relativ kontinuierliches Wachstum statt, auch kam es zu einigen sozialen Verbesserungen, wie z.B. die Einführung des Mindestlohns. Doch diese stellten keinen neuen Trend in der Sozialpolitik dar. ↩︎
  14. Wirtschaftsdienst (2019) “Schuldenbremse – Investitionshemmnis oder Vorbild für Europa?”, https://www.wirtschaft- sdienst.eu/inhalt/jahr/2019/heft/5/beitrag/schuldenbremse-investitionshemmnis-oder-vorbild-fuer-europa.html ↩︎
  15. Wirtschaftsdienst (2022) “Chronischer Investitionsmangel – eine deutsche Krankheit”, https://www.wirtschafts- dienst.eu/inhalt/jahr/2022/heft/7/beitrag/chronischer-investitionsmangel-eine-deutsche-krankheit.html ↩︎
  16. Bundeszentrale für politische Bildung (2017) “Deutschland: Weltmarktanteile”, https://www.bpb.de/kurz-knapp/ zahlen-und-fakten/globalisierung/52854/deutschland-weltmarktanteile/  ↩︎
  17. Mit dem Begriff Mittelstand wird hier jene Teile der Bourgeoisie gemeint, die nicht der Monopolbourgeoisie angehören. In der deutschen Tagespolitik wird der Begriff Mittelstand meistens zu Verschleierung der Interessen der Monopole verwendet; man redet zwar stets vom Mittelstand, aber meistens entsprechen, die darin zum Ausdruck gebrachten Maßnahmen oder Argumente den Interessen der Monopolbourgeoisie. ↩︎
  18. Es genügt hier auf die rasante Entwicklung der E-Commerce hinzuweisen, wie z.B. Amazon oder andere Monopole ihren Anteil im deutschen Binnenmarkt vergrößert haben und wie derartige Entwicklungen einheimische Handelsunternehmen bzw. Kleinunternehmer negativ beeinflusst haben. Mal abgesehen von dem Monopoldruck, den die gesamte Zulieferindustrie ausgesetzt war bzw. noch ist. ↩︎
  19. Einer der Gründe, warum die „Globalisierungsopfer“ unter den klein- und mittelbürgerlichen Bourgeois eine besondere Wut auf die Grünen haben, beruht auf diese Mission dieser Partei. ↩︎
  20. Die Peking Korrespondentin des Handelsblatts, Sabine Gusbeth, schreibt in ihrem Artikel „Chinas unaufhaltsamer Aufstieg zur Tech-Nation“, dass „elf Prozent der Firmen in der Autoindustrie schon jetzt die chinesische Konkurrenz als technologisch führend sehen. 58 Prozent glauben, dass die Wettbewerber aus China innerhalb von fünf Jahren zum Innovationsführer in ihrer Industrie aufsteigen“ werden. (HB, 25.01.2024, S. 25)  ↩︎
  21. Tagesschau (2021) “China überholt deutsche Maschinenbauer”, https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unter- nehmen/maschinenbau-exporte-china-vdma-101.html  ↩︎
  22. Biden hat mit immensen Fonds nicht nur dem eigenen Kapital unter die Arme gegriffen, sondern auch sehr viel ausländisches Kapital ins Land gelockt. Viele wichtige Subventionen sind an die Bedingung geknüpft, dass in den USA produziert wird. Deutsche Monopole wollen da nicht kürzer treten und haben ihre Direktinvestitionen erhöht. Neue Daten belegen, dass die deutschen Direktinvestitionen in den USA schneller steigen als jene in China. ↩︎
  23. von Buttlar, H; Haerder, M. (2023) “Ich würde nie gegen Deutschland wetten”, WirtschaftsWoche, 52, 17-19. ↩︎
  24. Verlagerungen von Produktionsstätten sind nichts Neues. Selbstverständlich bekamen derartige Bestrebungen durch die genannten Entwicklungen eine Dynamik. Doch abgesehen von der Tatsache, dass Deutschland mit Abstand das Land in Europa ist, wo der Anteil der Industrie an der gesamten Wertschöpfung des Landes am höchsten ist: hinter dem Geschrei über „Deindustrialisierung“ steckt die klassische Erpressungspolitik der Monopolbourgeoisie. Sie will damit erreichen, dass die Gesellschaft nicht aufbegehrt, wenn die Regierung gesellschaftliche Ressourcen für das Kapital zur Verfügung stellt. ↩︎
  25. Zwischen März 2022 und Juni 2023 haben die EU Länder während der „Energiekrise“ insgesamt 140 Milliarden Euro den Unternehmen gegeben. Deutschland allein gab 72,8 Milliarden Euro den eigenen Unternehmen! Also sie gab mehr als die übrigen 26 Mitgliedsländer zusammen. ↩︎
  26. Schon vor dem 100-Milliarden-Sondervermögen (bezeichnend für die Perfidität der bürgerlichen Propaganda, dass Schulden als Vermögen dargestellt werden!) wurden die Militärausgaben erhöht. Im Jahr 2013 betrugen sie 33,3 Milliarden Euro, 2022 waren sie auf 53 Milliarden gestiegen, ein Plus von 59 Prozent. Trotzdem betrugen die deutschen Militärausgaben 2022 nur 1,39% des BIP. (HB, 03.01.2024, S. 4) Jüngst kündigte der Verteidigungsminister an, dass Deutschland in diesem Jahr das NATO-Kriterium von 2% des BIP erfüllen werde! Scholz war sogar noch ehrgeiziger und erklärte, Deutschland werde bis in die 2030er Jahre für Rüstung Geld ausgeben, ohne dieses Niveau zu unterschreiten. Wie diese zweistelligen Milliardenbeträge ohne einen Wachstumsschub finanziert werden sollen, dürfte wohl kein Geheimnis sein! Die Vertreter der deutschen Rüstungsindustrie, deren Hände vom Reiben schon wund sind, fordern eine nationale Industriepolitik. Diese Forderung haben sie kürzlich in einer gemeinsamen Erklärung des SPD-Wirtschaftsforums, der IG Metall und des Verbandes der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie bekräftigt. Es hat den Anschein, dass die Monopolbourgeoisie bestrebt ist, durch die Aufrüstung ein neues nationales Bündnis zu schmieden, das sowohl ein Teil der Arbeiterklasse als auch die kleinen und mittleren Unternehmen umfasst, die im Ökosystem der Rüstungsindustrie schon integriert sind. ↩︎
  27. In einigen Bundesländern haben die Universitäten eine „Zivilklausel“, in der sie beschlossen haben, militärische Forschung nicht zu unterstützen oder zu fördern. Diese Regelung wird nun in einigen Bundesländern wieder aufgehoben. Der Freistaat Bayern hingegen hat neue Beschlüsse zur Militarisierung von Bildung und Wissenschaft gefasst, darunter das Verbot von „Zivilklausel“ an seinen Hochschulen. Auch die Bundeswehr versucht durch verschiedene Aktivitäten an Schulen in ganz Deutschland, die junge Generation für den Militarismus zu gewinnen. ↩︎
  28. Zitat aus: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/olaf-scholz-uebt-selbstkritik-die-ampel-und-ihr-schlechtes-erscheinungsbild-19470883.html ↩︎
  29. H. G. Maaßen, ehemaliger Leiter des Verfassungsschutzes und bekannt für seine parteilichen Äußerungen zu den extremen Rechten, hat kürzlich die CDU verlassen und eine Partei namens Werteunion gegründet. ↩︎
  30. „Völkisch“ wird hier sowohl im nationalsozialistisch inspirierten Sinne der Ausgrenzung ethnisch nicht-deutscher Menschen als „Ausländer“ als auch im Sinne der Wählbarkeit für breitere gesellschaftliche Schichten verwendet. ↩︎
  31. Die Vertreter der Monopolbourgeoisie sind davon überzeugt, dass allein schon wegen den Maßnahmen zur allgemeinen Neupositionierung, die Wahltendenz zur AfD gebrochen werden muss. Daher unterstützen sie jede Entwicklung, die diesem Ziel dient. So wurden in den letzten Tagen in ganz Deutschland Anti-AfD-Demonstrationen organisiert, an denen sich Millionen von Menschen beteiligten. Verschiedene Teile der Bourgeoisie, der bürgerlichen Parteien versuchten relativ schnell, diese zunächst vom antifaschistischem Gedankengut getragenen Aktionen einzuheimsen. Zuletzt rief VW zu einer Anti-AfD-Kundgebung in Wolfsburg auf, wo das Monopol seinen Sitz hat, und der Vorstandsvorsitzende von VW hielt eine Rede auf der Kundgebung, an der eine große Zahl von VW-Arbeitern teilnahm! ↩︎
  32. Zum Beispiel, dass der Krieg in der Ukraine diplomatisch gelöst werden sollte, dass die Sanktionen die deutsche Wirtschaft treffen, nicht die russische, und dass man Erdgas direkt von Russland kaufen sollte. Dieser Realismus aber basiert auf eine nationale Perspektive. ↩︎
  33. Zum Beispiel die Absicht die Außenpolitik der Willy-Brandt-Ära in der heutigen verhärteten Welt fortsetzen zu wollen. ↩︎
  34. Deutschland gehört zu den wenigen Ländern, die erfolgreich das nach der historischen Niederlage der Arbeiterklasse in den Jahren 1981/91 entstandene Kräfteverhältnis zugunsten der Monopolbourgeoisie aufrechterhalten haben. Dass dies eine strategische Errungenschaft für die Monopolbourgeoisie ist, die sie unbedingt beibehalten will, versteht sich von selbst. ↩︎
  35. Während das Wachstum in der deutschen Wirtschaft einbricht, verzeichnen die Monopole enorme Profitsteigerungen. Auffällig ist jedoch, dass sie relativ wenig von ihrer Akkumulation in die Reproduktion investieren. Vor allem in den letzten beiden Jahren wurden die gestiegenen Profite vermehrt als Dividenden an die Aktionäre ausgeschüttet oder eigene Unternehmensanteile zurückgekauft (gleichzeitig forderten z.B. die Monopole in der Autoindustrie staatliche Gelder für die Expansion bei den Elektrofahrzeugen!) Es ist kein Zufall, dass der deutsche Aktienmarkt Rekorde bricht, während die deutsche Wirtschaft schrumpft. ↩︎
  36. Insbesondere die Gewerkschaftsbürokratie in den Kernindustrien, organisiert Kampagnen, die eigentlich dem deutschen Kapital dienen. Sie mobilisiert ihre Mitglieder mit der Forderung, die Energiepreise für die Industrie zu senken, die Rüstungsindustrie zu schützen usw. Sie behauptet, dass diese Vorgehensweise im Interesse der Arbeiter sei. Die allgemeine Situation der deutschen Arbeiterbewegung, insbesondere dieses Argument, muss in einem separaten Artikel bewertet werden. ↩︎